Aufklärung und Informationssuche

Zu Beginn ihrer Erkrankung war Prostatakrebs für viele etwas Neues und viele Männer erzählen, nichts bzw. kaum etwas über Prostatakrebs gewusst zu haben. Nach der Diagnosemitteilung hatten die Interviewpartner unterschiedliche Informationsbedürfnisse, was und wie viel sie über ihre Erkrankung wissen wollten. Einige wollten mehr über ihre Erkrankung erfahren, um keine „Fehler“ bei Therapieentscheidungen zu machen, andere wollten genauer wissen, welche Auswirkungen Prostatakrebs auf ihr Leben haben kann.

Kay Hahn hatte ein starkes Bedürfnis und den Wunsch nach Informationen, wobei ihm das Internet am meisten nutzte.

Juergen Hoffmann hat sich am Anfang auf alles gestürzt, was mit der Prostata zu tun hatte.

Aufklärung durch den Ärzt*innen

Für Fragen war für unsere Interviewpartner zunächst ihr Arzt/ihre Ärztin der/die erste Ansprechpartner*in, auch weil sie schon ein Vertrauensverhältnis zu ihm hatten. Viele waren nach der Diagnose geschockt, vertrauten ihrem Arzt/ihre Ärztin und berichten, dass die meisten Fragen zufriedenstellend beantwortet wurden. Ihnen reichte die Aufklärung fürs erste aus, auch weil für die meisten die Frage im Vordergrund stand, ob sie wieder gesund werden und weiterleben können.

Manche schildern, dass sie keine ausreichenden Auskünfte über Behandlungen bekamen, was zur Folge hatte, dass sie auch noch keine Entscheidung über die weitere Behandlung treffen wollten.

Volker Keller fühlte sich schlecht von seinem Arzt aufgeklärt, er war aber noch nicht soweit, Fragen zu stellen.

Andere wurden von Ungewissheiten geplagt, betonen aber, dass die Zeit vor der Behandlung sehr knapp gewesen sei, um sich selbst zu informieren oder genauer zu fragen. Manche Interviewpartner berichten auch, dass sie aufgrund des Berufs oder auch aus anderen Gründen, wie dem Tod nahestehender Personen, nicht genügend Zeit hatten, um sich zu informieren. Einige unserer Interviewpartner erzählten uns, dass sie sich nach ihrer Behandlung die Zeit genommen haben, sich ausführlicher mit dem Thema Prostatakrebs zu befassen und dann erkannten, was sie sich an Aufklärung noch gewünscht hätten.

Einige fragten auch nicht nach, weil sie nicht zu viel über Konsequenzen und Nebenwirkungen wissen wollten. Manche befürchteten, dass bestimmtes Wissen über mögliche Verläufe und Szenarien ihnen Angst macht oder Zweifel auslöst.

Alfred Brandts Aufklärung kam erst später. Er vermutet aus Angst nie nachgefragt zu haben.

Joachim Pelzer hat zu Beginn seiner Erkrankung viel gelesen und dadurch sehr viel Angst bekommen.

Martin Pels wünscht sich von den Ärzt*innen auch eine Aufklärung über generelle Aspekte wie die Funktion der Prostata.

Die Aufklärung durch ihre Ärzt*innen bzw. Urolog*innen hat den Männern am meisten geholfen, wofür Vertrauen und ein gutes Verhältnis zu ihrem Arzt/ihrer Ärztin ganz maßgeblich war. Viele haben ihre Ärzt*innen nach Informationsmaterial gefragt oder es von ihnen bekommen, andere haben Broschüren aus Krankenhäusern und Kliniken mitgenommen, auch weil sie somit gezielt nachschauen konnten. Manche unserer Interviewpartner holten sich auch eine Zweitmeinung ein, weil sie sich nicht auf den Rat eines einzelnen verlassen wollten und sich durch weitere Meinungen Sicherheit verschaffen und Zweifel ausräumen wollten. Manchen halfen die zusätzlichen Recherchen dabei, besser mit ihren Ärzt*innen umgehen zu können, insbesondere um sich eine eigene Meinung zu bilden und den Ärzt*innen gegenüber vertreten zu können. Ebenso berichten uns Interviewpartner davon, dass sie sich speziell auf die Arztgespräche vorbereitet hätten, um nichts zu vergessen und gezielt Fragen stellen zu können. Einige unserer Gesprächspartner waren selbst im medizinischen Bereich tätig, wodurch sie grundlegend wussten, wie die Abläufe sind.

Andere hingegen schildern, dass weitere Meinungen Zweifel bei ihnen hervorgerufen oder ihre Unsicherheit nur noch gesteigert hätten. Auch wussten nicht alle von der Möglichkeit, eine Zweitmeinung einzuholen, oder trauten sich nicht aus Angst vor negativen Auswirkungen auf das Vertrauensverhältnis zu ihren Ärzt*innen.

Bernd Zimmermann bat seinen Arzt um Erläuterungen, so dass er immer im Bilde war, wie seine Situation ist.

Für Holger Andres waren Zweitmeinungen völlig fremd, außerdem fehlte ihm Selbstbewusstsein, es zu erwägen.

Wolfgang Pohl hilft seine kritische Einstellung gegen über Informationen und ein gewisses Selbstbewusstsein.

Helmut Wurm hat sich Fragen für Arztgespräche notiert, jedoch halfen ihm die Antworten nicht wirklich.

Gerhard Haas lässt sich seine Befunde geben, die er mithilfe medizinischer Lexika liest oder seinen Arzt befragt.

Unsere Interviewpartner schildern, dass es auch vorkam, dass ihr Arzt/ihre Ärztin nicht der/die richtige Ansprechpartner*in für bestimmte, schambehaftete Themen wie das Sexualleben war oder sie mussten das Thema von sich aus ansprechen. Ralf Sauer nutzte einen Service seiner Krankenkasse und konnte Ärzt*innen in einer Telefonsprechstunde kontaktieren, Bernd Zimmermann nahm an medizinischen Kongressen teil um mit Ärzt*innen zu sprechen. Manchmal drängten sich aber Fragen auf, ohne dass sie direkt ihren Arzt/ihre Ärztin konsultieren konnten oder wollten, weshalb sie auf anderen Wegen nach Aufklärung und Informationen suchten.

Aufklärung in der Reha

Einige wurden nach ihrer Behandlung während der Reha weiter aufgeklärt. Sie bekamen neue Informationen zur Ernährung, Bewegung und zu Therapien durch Vorträge oder sie wurden erstmals über die Bedeutung der medizinischen Werte aufgeklärt (Rehabilitation). Außerdem gab es Veranstaltungen mit Informationen zur Rente, zum Schwerbehindertenausweis oder zum Krankengeld.

Selbst aktiv werden

Vielen genügte die Aufklärung, die sie über ihre Ärzt*innen und in der Reha erhielten, nicht und sie wollten mehr Wissen, weshalb sie sich bemühten, Informationen zu beschaffen, die für sie wichtig waren. Manche taten dies direkt nach der Diagnosestellung, andere vor Behandlungsentscheidungen oder vor Arztbesuchen. In den Interviews berichten Männer, die schon länger mit Prostatakrebs leben, von anderen Informationsbedürfnissen, als solche, die noch in akuter Behandlung sind. Die Bandbreite an Suchstrategien und der Umgang mit Wissen sind bei jedem Interviewpartner unterschiedlich, jeder musste für sich den passenden Weg finden. Sie suchten Informationen zu Therapien und Nebenwirkungen, zu Kliniken und Ärzt*innen, zu Medikamenten, zu Selbsthilfegruppen, zur Ernährung, zu Erfahrungen anderer, allgemein zur Gesundheit, zu Prognosen (Nomogramme) oder versuchten Aussagen zu überprüfen bzw. sich zu versichern.

Einige Interviewpartner berichten, dass sie mit mehr Wissen in der Lage waren, bestimmte Therapieabläufe zu beeinflussen und zu steuern. Andere sahen es als notwendig an, sich ausführlich und umfassend zu informieren, um selbst „Manager“ ihrer Krankheit zu sein.

Rüdiger Schnelte sieht es in seiner Verantwortung, sich selbst zu informieren und vorzubereiten.

Selbsthilfegruppen

Viele Interviewpartner gingen in Selbsthilfegruppen, um Informationsmaterialien zu bekommen und mit anderen Betroffenen zu sprechen um sich Rat zu holen. Die Erzähler fanden es hilfreich, neben ihrem Arzt/ihrer Ärztin dort auch gezielt mit anderen Fachleuten oder Betroffenen zu sprechen, einige eigneten sich viel Wissen durch ihre Funktion als Leiter der Selbsthilfegruppe an (Selbsthilfegruppen).

Andere berichten, im Fernsehen Filme gesehen oder Beiträge über Prostatakrebs oder allgemeine Gesundheitssendungen angeschaut zu haben, manche haben schon vor ihrer Erkrankung Berichte gesehen, von denen sie dann profitierten und beruhigter oder hoffnungsvoller waren. Einige haben sich auch die Patienten S3 Leitlinie für Prostatakrebs besorgt, um zu überprüfen, welche Behandlungen es gibt und welche für sie persönlich in Frage kommen. Dieses Wissen nutzten manche auch gegenüber ihrem Arzt/ihrer Ärztin. Andere gingen in Buchhandlungen, um sich dort Fach- und Betroffenenliteratur zu besorgen oder schauten gezielt im Internet zusätzlich nach Zeitschriften und Artikeln.

Für viele war es nicht leicht, die richtigen Informationen zu finden, weshalb einige Interviewpartner mehr Probleme bei ihrer Recherche als andere hatten und viel Zeit für die Suche aufbrachten. Einige berichten, dass es ihnen nicht möglich war, die Informationen zu bekommen, die sie benötigten und brauchten und sie suchten daher nach Unterstützung in ihrem sozialen Umfeld (Unterstützung durch Partnerin, Familie und Freund*innen). Unsere Interviewpartner wünschten sich kompakte Informationen oder Kurzversionen, die übersichtlich und verständlich waren.

Die Broschüre, die Volker Keller vom Krankenhaus bekam, war das Beste an Informationen, das er finden konnte.

Internet

Das Internet erfordert bestimmte Fähigkeiten von seinen Nutzer*innen, wie die Bedienung eines Computers. Viele hatten schon Erfahrungen mit Computern, einige brauchten etwas Zeit, um sich damit vertraut zu machen. Andere schafften sich im Laufe ihrer Erkrankung einen Computer mit Internetanschluss an, manche haben nicht die Möglichkeit, das Internet zu nutzen. Viele fühlten sich von dem Überschuss an Informationen und der Unübersichtlichkeit überfordert, einige hatten es zwar probiert, dann aber wieder gelassen. Die Suche empfanden viele daher als zeitintensiv, auch war es für manche schwierig, relevante Informationen für ihre individuelle Situation zu bekommen. Vorteile lagen darin, dass sie es jederzeit nutzen konnten.

Jörg Runde hatte zum Zeitpunkt seiner Diagnose noch nicht die Möglichkeit, das Internet für eigene Informationen zu durchsuchen, sodass er heute Vieles anders angehen würde.

Für unsere Interviewpartner war es wichtig, dass die Informationen, die sie fanden seriös und vertrauenswürdig waren. Um solche Informationen zu finden, nutzen unsere Gesprächspartner immer mehrere Quellen neben dem Internet, wie medizinische Lehrbücher, die Krebshilfe, oder eben die Selbsthilfegruppen. Manche haben auch im Internet speziell nach wissenschaftlichen Quellen gesucht, da diese Informationen für sie verlässlicher erschienen. Viele Männer unterschieden zwischen Fakteninformationen und Erfahrungsberichten, einige sprachen auch von Schauergeschichten, die sie fanden. Einige konnten Erfahrungen anderer gut für sich nutzen, manche wurden sogar selbst aktiv und posteten Beiträge. Andere fanden es frustrierend und haben das Internet nicht für sich genutzt.

Auch die Aktualität, die Informationen im Internet haben können, spielte in den Erzählungen unserer Interviewpartner eine Rolle. Der neueste Stand bietet nach Meinung vieler das Internet, besonders durch die weltweite Vernetzung. Einige holten sich auch von ihrem Arzt/ihrer Ärztin oder einer Klinik immer aktuelle Versionen von Broschüren wie der Blauen Reihe.

Ralf Sauer findet Faktenbroschüren hilfreich, sieht Foren mit Erfahrungsberichten aber kritisch, da sie ihn verwirren können. 

Christian Lorenz vertraute nicht auf das Internet und suchte sich anderweitig Informationen zusammen.

Für Peter Engel waren die Informationen im Internet frustrierend viel, dennoch konnte er vieles gebrauchen.

Rainer Wolff war zwei Tage intensiv im Internet auf Informationssuche, dann ließ er es bleiben.

Hans Bergmann suchte nach Erfahrungsberichten zu Nebenwirkungen einer Therapie, wofür er das Internet nutzte.

Ralf Sauer hat vieles verwirrt und ihm ist Aktualität der Informationen besonders wichtig.

Einige Interviewpartner berichten, dass sie bestimmte Sachverhalte erst mit der Zeit lernten und vorher unwissend oder falsch informiert waren. Viele beschreiben auch, dass sie sich im Laufe ihrer Erkrankung mit der Krankheit tiefgründiger befassten und erst mit ihren eigenen Erfahrungen fähig waren, sich ein umfassenderes Bild über Prostatakrebs zu machen. So wurden ihnen viele Dinge auch erst später klar, was aber zu verkraften war, wenngleich sie aus heutiger Sicht bestimmte Entscheidungen anders fällen würden. Für manche gab es nichts Konkretes, worüber sie sich noch informieren wollten, sie fühlten sich wieder gesund und versuchten für sich mit dem Kapitel Prostatakrebs abzuschließen. Im Rahmen der Selbsthilfe und Eigeninitiative hatten weniger unserer Interviewpartner über das Internet hinaus zeitweise Berührungspunkte mit Apps, sei es zur Dokumentation von Krankheitsaspekten oder zum Monitoring spezieller Faktoren sowie im Kontext von Studien, beispielsweise zur Lebensqualität bei Prostatakrebs. Hier gab es jedoch keine dauerhafte und konkrete Nutzung durch die Interviewpartner.