Die Erfahrungen von Jörg Runde
Jörg Runde ist zum Zeitpunkt des Interviews 59 Jahre alt und Teilzeit erwerbstätig. Er ist verheiratet und lebt gemeinsam mit seiner Frau und seinen Eltern auf einem großen Hof. 2006 wurde bei Jörg Runde Prostatakrebs diagnostiziert, woraufhin ein Rezidiv und Metastasen folgten. Er ist zwar durch Inkontinenz in vielen Lebensbereichen eingeschränkt, hat aber stetig Hoffnung auf die Forschung und eine Verbesserung seiner Situation. Zudem ist er dankbar für ein unterstützendes Umfeld und versucht, kleine Momente und Erlebnisse, wie frühstücken gehen, umso mehr zu genießen.
Nachdem sein guter Bekannter an Prostatakrebs gestorben ist, ließ Jörg Runde bei einer Regeluntersuchung im Alter von 42 Jahren seinen PSA-Wert testen. Da dieser zu hoch war, wurde eine Biopsie gemacht. Aufgrund eines Gleason Scores von 5 wurde damals direkt eine OP veranlasst, während der Wert heute als Vorstufe eines Prostatakarzinoms gilt und folglich nicht operiert wird. Jörg Runde sagt, dass alles sehr schnell ging. Er hatte wenig Informationen und keine andere Alternative als die OP gesehen. Heute bereut er dies und hätte gerne abgewartet, zumal er sich mittlerweile selbst sehr umfassend informiert hat. Jörg Runde verhält sich mit seiner Erkrankung und den Folgen sehr selbstbestimmt und eigeninitiativ, wozu der regelmäßige Besuch einer Selbsthilfegruppe beiträgt. Weiterhin erlebt er eine gute Betreuung durch seine Ärzt*innen und seine Psychoonkologin.
Aufgrund eines Kinderwunsches ließ Jörg Runde seine Samen einfrieren. Seine Frau und er ließen diesen Wunsch jedoch fallen, nachdem Jörg Runde 2007 ein Rezidiv bekam. Er wurde bestrahlt und hatte danach fünf Jahre lang Ruhe, bis der PSA-Wert erneut erhöht war. Es wurden mehrere Metastasen festgestellt, sodass er 2013 erneut bestrahlt wurde. Zwei Jahre später erlebte er dasselbe noch einmal und wurde ebenso durch Bestrahlung behandelt. Da der PSA-Wert erhöht blieb, bekam Jörg Runde zusätzlich eine Anti-Hormontherapie (Tablettenform). Nach zwei Jahren stiegen PSA- und Testosteron-Wert an, sodass 2017 ein weiteres Antihormonpräparat (Depotspritzen) eingesetzt wurde. Die Folgen davon waren u. a., dass Jörg Runde auf nichts mehr Lust hatte und Schweißausbrüche bekam, auch, wenn die beiden Medikamente geholfen haben. Die Spritzen wurden zeitweise ab- und wieder angesetzt, um seine Beschwerden zu lindern. Zum Zeitpunkt des Interviews nimmt er die Spritzen wieder und hofft darauf, dass sein Körper diese in Zukunft gut verträgt.
Jörg Runde sagt, dass der Krebs selbst nicht das Schlimmste sei. Durch die über 70 Bestrahlungen wurde sein Nervensystem beschädigt, was wiederum zu einer Inkontinenz geführt hat. Auch wenn er mit den onkologischen Rehas meistens gute Erfahrungen hatte, waren diese auf frisch operierte Patient*innen ausgelegt und konnten nichts gegen die Inkontinenz tun. Die Physiotherapie, die Jörg Runde zwei Mal in der Woche in Anspruch nimmt, hilft ihm wiederum und reduziert die Inkontinenz zeitweise ein wenig. Dennoch ist er auf Einlagen angewiesen. Zwar würde weniger Arbeit ihm guttun; aus finanziellen Gründen muss Jörg Runde aber noch weiterarbeiten. Er kommuniziert seine Krankheit und Arzttermine bei der Arbeit und stößt manchmal auf Unverständnis im Kontext seines erhöhten Urlaubsanspruchs. Viele Kolleg*innen nehmen seine Erkrankung jedoch sehr ernst und sind an seinem Wohlbefinden interessiert.
Jörg Runde sagt, dass er sich so durch den Alltag kämpft. Er kann aufgrund der Inkontinenz nicht mehr schwimmen oder in die Sauna gehen und hat die Motivation für Hobbys wie Motorrad fahren verloren. Ebenso erfährt er Einschränkungen auf sexueller Ebene. Dadurch sei aber die geistige Nähe zu seiner Frau intensiver geworden. Sie steht hinter ihm und nimmt ihn so, wie er ist, sagt Jörg Runde. Trotz der Einschnitte behält er den Elan zum Leben und schätzt es beispielsweise, mit seinem Hund in der Natur rund um sein Zuhause unterwegs zu sein oder, wenn auch seltener, Motorrad zu fahren. Hierbei und beim Autofahren ist er z. B. vorsichtiger geworden, weil er durch seine Krankheitsgeschichte ein höheres Bewusstsein für Leben und Tod entwickelt hat.
Jörg Runde lebt – neben der Inkontinenz – mit verschiedenen Nebenwirkungen wie Bluthochdruck, Kopfschmerzen und Hautausschlägen, gegen die er zusätzliche Medikamente nimmt. Folgen der Therapie waren zudem Brustwachstum und Haarverlust, was Jörg Runde jedoch mit Humor zu betrachten versucht. Er hat eine realistische Sicht auf seinen Zustand, ist informiert und weiß, was er zu erwarten hat, sagt er. So gäbe es noch weitere Medikamente und er hoffe auf etwas Neues und bessere Behandlungen für die Zukunft. Jörg Runde hat eine Liste mit Dingen, die er in seinem Leben schon gemacht bzw. geschafft hat sowie Dingen, die er noch vorhat. Diese Liste hilft ihm aus negativer Stimmung raus und schenkt ihm zeitweise ein wenig Motivation.
Das Interview wurde im Juni 2023 geführt.
Alle Interviewausschnitte von Jörg Runde
Bei Jörg Runde konnten die Ärzt*innen durch ein PET-CT mehrfach Metastasen nachweisen.
Jörg Runde ärgert sich sehr über das damalige dringliche Vorgehen der Ärzt*innen.
Jörg Runde stimmt seine Tabletteneinnahme mit den Nebenwirkungen ab.
Jörg Runde schätzt es mit Menschen zu sprechen, die ein ähnliches Schicksal haben.
Für Jörg Runde ist sein Physiotherapeut eine Art Psychologe.
Jörg Runde hat durch die Selbsthilfe viele Ärzt*innen kennengelernt und weiß dies sehr zu schätzen.
Jörg Runde muss seinen Alltag stark nach seiner Inkontinenz richten.
Jörg Runde fühlt sich an schlechten Tagen psychisch sehr belastet und demotiviert.
Jörg Runde verbindet das Ende seines Lebens nicht vorrangig mit dem Krebs.