Zugang zur medizinischen Versorgung

Zum Zeitpunkt der Interviews (2021–2024) für diesen Erfahrungsbereich gab es noch keine festen Versorgungsstrukturen für Long-/Post-COVID. Seit 2020 jedoch wurden in Deutschland spezialisierte Post-COVID-Ambulanzen schrittweise aufgebaut. Diese Ambulanzen, mittlerweile bundesweit verfügbar, bieten umfassende Diagnostik durch verschiedene Fachbereiche und langfristige Unterstützung für Betroffene. Zugang erhalten Personen mit dokumentierter Infektion und anhaltenden Symptomen über eine Überweisung von Hausärzt*innen, Fachärzt*innen oder universitären Ambulanzen.

Die Mehrheit unserer Interviewpartner*innen berichtete, dass ihre Hausärzt*innen ihre erste Anlaufstelle waren, um ihre langanhaltenden Symptome abzuklären. Einige Interviewpartner*innen beschrieben, wie sich gut von ihren Hausärzt*innen versorgt fühlten. Andere wiederum erlebten, dass ihre Hausärzt*innen mit ihnen und ihren Symptomen überfordert waren (Mehr dazu unter: Gespräche mit Ärzt*innen). Da viele unserer Interviewpartner*innen meist mehrere, unterschiedliche Symptome entwickelten, wurden sie von ihren Hausärzt*innen an verschiedene Fachärzt*innen oder Long-/Post-COVID-Ambulanzen überwiesen. Einen Termin bei Fachärzt*innen sowie in Long-/Post-COVID-Ambulanzen zu bekommen, beschrieben unser Interviewpartner*innen als besonders schwer. Das frustrierte viele, da häufig viel Zeit verging, bis sie die erhoffte Unterstützung erhielten. Vereinzelt beschrieben Interviewpartner*innen, dass ihnen ihre Hausärzt*innen oder andere behandelnde Ärzt*innen dabei halfen, schneller einen Termin zu bekommen. Einige nutzten auch Apps, wie die Doctolib-APP, und hatten so die Möglichkeit online mit Fachärzt*innen zu sprechen.

Rita Machner bekam keinen Termin in einer COVID-Ambulanz und nach vier Wochen einen Termin bei einem Pneumologen, da ihre Tochter im gleichen Krankenhaus tätig war.

Monika Steiner vereinbarte mit ihrer Hausärztin, dass, wenn ein Termin bei einem Facharzt notwendig war, sie diesen zeitnah vereinbaren würde. 

Dominique Kouri war froh, dass sie über die Doctolib App schnell einen Termin bei einem Neurologen bekam.

Regina Kopp bekam keinen Termin beim Lungenfacharzt (Pneumologen) und fühlte sich alleingelassen.

Zudem schilderten einige Interviewpartner*innen, dass die Fachärzt*innen und Long-/Post-COVID-Ambulanzen in manchen Regionen Deutschlands nur schwer erreichbar waren, was für sie lange Anfahrtswege zu diesen Einrichtungen bedeutete. Da viele von ihnen bei verschiedenen Ärzt*innen Hilfe suchten und zahlreiche Tests durchliefen, war ein erheblicher zeitlicher und organisatorischer Aufwand notwendig. Einige nahmen Wartezeiten und weitere Strecken gern in Kauf. Andere Interviewpartner*innen äußerten das Gefühl, dass sich ihre Behandlung und Genesung dadurch verzögerten, und fühlten sich daher oft alleingelassen.

Stephan Bergmann beschrieb, dass er lange Wartezeiten und weite Strecken für seine Behandlung in Kauf nahm.

Einige Interviewpartner*innen, besonders jene mit starker Erschöpfung durch Chronisches Fatigue-Syndrom (CFS), Post-Exertionelle Malaise (PEM) und Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS), berichteten, dass sie einige medizinische Einrichtungen, die sie besuchten, als nicht barrierefrei empfanden. Gründe dafür waren die Organisation und Lage der Praxen, wie z.B. lange Wartezeiten, grelles Licht oder der Zugang nur über Treppen. Auch medizinische Tests, wie z.B. Konzentrationstests und Lungenfunktionstests, stellten für diese Interviewpartner*innen eine weitere Belastung dar. In einigen Fällen erzählten sie, dass sie nach den Untersuchungen oft in einen „Crash“ fielen- einen Zustand extremer körperlicher und geistiger Erschöpfung, der mit einer Verschlechterung ihrer Symptome einherging. Unsere Interviewpartner*innen bezeichneten diesen Zustand so, dass bereits kleine körperliche Anstrengungen wie Blinzeln oder der Gang zur Toilette zur Herausforderung wurden und häufig längere Ruhepausen erforderlich machten.

Bei einem Arztbesuch war Stella Paul durch das lange Stehen an der Anmeldung, das Ausfüllen von Formularen und die lange Anfahrt bereits erschöpft und an ihrer Belastungsgrenze angekommen.

Melanie Tietz musste bei einem Arzttermin lange warten. Als sie wegen ihrer Erschöpfung nach einer Möglichkeit zum Hinlegen fragte, reagierte die Ärztin verärgert.

Um die Long-COVID-Ambulanz zu erreichen, stieg Malte Steiner in den dritten Stock ohne Aufzug, was aufgrund seiner ME/CFS-Diagnose besonders anstrengend war.

Mara von Peter strengte ein Lungenfunktionstest so sehr an, dass sie für eine Woche „gecrasht“ war.

In den Long-/Post-COVID-Ambulanzen fühlten sich die meisten unserer Interviewpartner*innen mit langanhaltenden Symptomen gut aufgehoben, da sie sich dort verstanden und ernst genommen fühlten. Vereinzelt beschrieben unsere Interviewpartner*innen, dass sie dort in erster Linie untersucht wurden, aber keine Therapie- oder Behandlungsmöglichkeiten ausgesprochen wurden.

Andrej Schwenke-Korac beschrieb, dass er sich in der COVID-Ambulanz wohlfühlte, da man dort auf ihn einging.

Für einige Interviewpartner*innen war der Zugang zu Long-/Post-COVID-Ambulanzen nicht nur aufgrund langer Wartezeiten erschwert, sondern auch durch die Voraussetzung einer umfassenden Ausschlussdiagnostik und dem Nachweis einer COVID-19-Infektion. Interviewpartner*innen ohne PCR-Nachweis der akuten COVID-19-Erkrankung mussten in der Regel einen Antikörpertest vorlegen, um Zugang zu den Long-/Post-COVID-Ambulanzen zu erhalten.

Um einen Termin in der Long-/Post-COVID Ambulanz in ihrer Nähe zu bekommen, musste Felicitas Welter zunächst eine Ausschlussdiagnostik vornehmen.

Bianca Irmer infizierte sich im Januar 2023, hatte jedoch keinen PCR-Test-Nachweis, als sie einen Termin in der Post-COVID-Ambulanz vereinbaren wollte. Daher war es erforderlich, dass sie zunächst einen serologischen Antikörpertest durchführen ließ.

Viele unserer Interviewpartner*innen äußerten ihre große Enttäuschung und Frustration mit der gesundheitlichen Versorgung und wie man mit ihnen umging. Dabei empfanden sie es als besonders frustrierend, dass Ärzt*innen nicht weiterwussten, überlastet waren, es keine Therapien gab, evidenzbasierte Forschung so lange dauerte, dass sie das Gefühl hatten, dass ihnen nicht geholfen wurde und dass ihre anhaltenden Beschwerden nicht ernst genommen wurden.  

Monika Steiner fühlte sich alleingelassen und war der Meinung, dass Ärzt*innen auch manchmal nicht weiter wissen.

Felicitas Welter hatte das Gefühl, dass Long COVID nicht schwerwiegend eingeordnet wurde.

Charlotte Peters fühlte sich ständig von einer Unsicherheit zur nächsten geschoben.