Alltag, Familienleben, Partner- und Freundschaften

In den Erzählungen unserer Interviewpartner*innen wurde deutlich, dass das Erleben der vielfältigen und langanhaltenden Symptome ihr Leben grundlegend veränderte - „es war nicht mehr so wie vor der COVID-19-Infektion“. Diese Veränderungen hatten Auswirkungen auf ihren Alltag, ihr Familienleben, ihre Partner-und Freundschaften.

Viele unserer Interviewpartner*innen empfanden einfache, alltägliche Tätigkeiten wie Haare waschen oder Kochen aufgrund der anhaltenden Symptome – darunter Schmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten und Erschöpfung/Fatigue – als herausfordernde Aufgaben. Auch das Autofahren wurde von vielen als zu anstrengend beschrieben, weshalb einige darauf verzichteten. Mit der Zeit entwickelten unsere Interviewpartner*innen verschiedene Strategien, um mit den Einschränkungen im Alltag umzugehen – dazu gehörte beispielsweise, ihre Kräfte und Energiereserven gezielt über den Tag hinweg einzuteilen oder Hilfsmittel zur Erleichterung bestimmter Aufgaben zu nutzen (Mehr dazu unter: Leben mit langanhaltenden Symptomen).

Anna Schwenke-Korac strengte das Haare waschen und Duschen an.

Lothar Winkler empfand das Autofahren aufgrund von Konzentrationsschwächen zur Arbeit (15 km) als zu anstrengend. 

Karla Schlösser sagte, dass ihr zuhause alles schwerer fiel und sie nicht so belastbar war.

Aufgrund der langanhaltenden Symptome veränderten sich auch der Familienalltag und die Partnerschaften unserer Interviewpartner*innen spürbar. Vielen fiel es schwer, wie vor der COVID-19-Infektion aktiv am gemeinsamen Familienleben oder an ihrer Partnerschaft teilzunehmen. Gewöhnliche Aktivitäten wie gemeinsames Essen, Spielen mit den Kindern oder Unternehmungen mit ihren Partner*innen wurden von einigen als zu anstrengend empfunden. Um dennoch für ihre Familie und Partner*innen da zu sein, versuchten sie, ihre Energien bewusst einzuteilen. Trotz dieser Bemühungen belastete es viele, nicht mehr in dem Maße für ihre Kinder oder Partner*innen da sein zu können, wie sie es gewohnt waren. Besonders herausfordernd war es für sie, ihren Kindern zu vermitteln, dass sie nicht mehr so belastbar waren wie zuvor. Es bedrückte sie, mitzuerleben, wie ihre Kinder mit ihnen litten und sich Sorgen um ihre Gesundheit machten. Auch im Umgang mit ihren erwachsenen Kindern empfanden einige unserer Interviewpartner*innen Unsicherheiten. Sie hatten das Gefühl, ihnen nicht mehr gerecht zu werden – sei es, weil sie ihre Enkelkinder nicht mehr wie gewohnt betreuen konnten oder weil sie sich nicht länger in ihrer gewohnten Rolle als Vorbild sahen. Viele unserer Interviewpartner*innen berichteten von der Unterstützung durch ihre Kinder und Lebens- oder Ehepartner*innen, die sie im Alltag entlasteten und ihnen vieles abnahmen – wofür sie besonders dankbar waren.

Helen Struch beschrieb, dass ihre Kinder große Ängste um sie hatten und sie nicht richtig für ihre Kinder da sein konnte.

Karl Metz fiel es schwer, seinen Kindern zu vermitteln, dass er nicht mehr so konnte wie vorher.

Unsere Interviewpartner*innen berichteten, wie ihre Erkrankung auch ihr Umfeld verunsicherte. Ihre Kinder, so sagten unsere Interviewpartner*innen, konnten ihren Gesundheitszustand oft nicht richtig einschätzen und machten sich Sorgen um ihre Mütter und Väter. Auch die Ehe- oder Lebenspartner*innen waren stark besorgt und übernahmen zahlreiche alltägliche Aufgaben.

Die Kinder von Theresa von Gollberg machen sich Sorgen um sie, und sie selbst fühlte sich als Mutter nicht mehr als zuverlässige Ansprechpartnerin.

Die Tochter von Natascha Kipp konnte nicht verstehen, dass Natascha Kipp krank war.

 Durch die Übernahme vieler alltäglicher Aufgaben – wie den Haushalt, die Kinderbetreuung oder organisatorische Angelegenheiten – durch ihre Partner*innen beschrieben unsere Interviewpartner*innen eine spürbare Belastung für ihre Beziehungen. Besonders herausfordernd war es, wenn sie aufgrund der langanhaltenden Symptome nicht mehr in der Lage waren, ihren Partner*innen in gewohnter Weise Nähe, Zuwendung und Intimität zu schenken. Auch gemeinsame Unternehmungen oder das Teilen von Erlebnissen waren nicht mehr im gleichen Umfang möglich wie zuvor. Einige Interviewpartner*innen berichteten jedoch, dass sie mit ihren Partner*innen enger zusammenwuchsen und gemeinsam Strategien entwickelten, um mit der veränderten Situation umzugehen. Andere wiederum erlebten durch die anhaltende Belastung Spannungen, die in manchen Fällen sogar zu einer Trennung führten.

Ilona Bergmann und ihr Ehemann redeten viel miteinander, um die Erkrankung und ihre Folgen zu bewältigen.

Lore Pfeffer beendete ihre Partnerschaft infolge von Long-COVID.

Auch im Freundes- und Bekanntenkreis einiger unserer Interviewpartner*innen kam es zu Veränderungen. Viele berichteten, dass es ihnen durch Konzentrationsprobleme und starke Erschöpfung schwerfiel, an Unternehmungen teilzunehmen oder Gesprächen aufmerksam zu folgen. Spontane Einladungen oder Aktivitäten konnten oft nicht mehr wie früher wahrgenommen werden, und manchmal war es notwendig, Treffen abzusagen oder sich zurückzuziehen, um Überlastung zu vermeiden. Viele Interviewpartner*innen schilderten, dass solche Herausforderungen zu ganz unterschiedlichen Entwicklungen in ihren Freundschaften führten. Einige erlebten ein stärkeres Miteinander, da ihre Freund*innen und Bekannten sensibel und unterstützend reagierten, was die Beziehungen vertiefte. Sie fühlten sich durch das Verständnis und die Rücksichtnahme enger verbunden. Andere berichteten jedoch von veränderten oder weniger gewordenen Kontakten. In einigen Fällen führte die anhaltende Belastung durch die langanhaltenden Symptome oder das wiederholte Absagen von Treffen dazu, dass der Kontakt nach und nach abbrach. Für viele war dies besonders schmerzhaft, und sie suchten nach Wegen, dem entgegenzuwirken. Manche fanden Unterstützung und neue Kontakte im Rahmen von Treffen der Selbsthilfegruppe, während andere versuchten, den Kontakt zu alten Freund*innen wieder mehr zu aktivieren.

Die Freund*innen von Helmut Tamm haben ihn beim Spazierengehen unterstützt.

Melanie Tietz empfand den Verlust ihrer sozialen Kontakte als das Schlimmste an ihrer Erkrankung, doch sie versuchte auch, den Kontakt zu einigen Freund*innen aktiv zu suchen.

Die besten Freund*innen von Mara Peter konnten zunächst nicht verstehen, dass sie Gesprächen nicht mehr folgen konnte. Mit der Zeit lernten sie gemeinsam zu verstehen, warum das so war. 

Irmgard Steinert musste bereits mehrfach Veranstaltungen im Freundeskreis absagen aufgrund ihres gesundheitlichen Zustands, woraufhin das Verständnis ihrer Freund*innen gemischt war.