Was hilfreich sein kann
Unsere Erzählerinnen sind sich einig, dass die Essstörung eine schwere Erkrankung ist, die es ihnen nicht leicht machte, Hilfe zu suchen und anzunehmen (siehe Hilfe suchen, Hilfe annehmen). Dennoch berichten sie immer wieder auch von hilfreicher Unterstützung durch andere (siehe Soziales Leben, Familie Partnerschaft, Kinder) und von hilfreichen Therapien (siehe Erfahrungen mit Ärzten, Ambulante Psychotherapie, Stationäre Klinikaufenthalte, Ergänzende Unterstützung). Viele erzählen auch von inneren Prozessen und eigenen Ressourcen, die es ihnen nach und nach ermöglichten, besser mit der Erkrankung umzugehen oder sie schließlich ganz loszuwerden.
Immer wieder thematisieren die Erzählerinnen, wie sehr sie schwankten zwischen dem Wunsch, aus der Essstörung rauszukommen und wieder ein normales Leben zu führen, und dem Sog, den die Krankheit auf sie ausübte. Viele der Erzählerinnen erlebten, dass irgendwann die Motivation stärker wurde, die Essstörung loszuwerden. Dabei half ihnen, dass ihnen immer klarer wurde, welche Verluste sie durch die Krankheit erlitten hatten. Sie realisierten, dass sie Ziele im Leben hatten, die ihnen wichtig waren und die sie mit der Essstörung nicht erreichen konnten, wie z.B. irgendwann eine Ausbildung abzuschließen oder eine Familie zu gründen. Einige erzählen, dass ihnen bewusst wurde, in welchem Maße sie ihre Lebensfreude verloren hatten, und wollten sie wieder zurückgewinnen. Manche beschreiben es als entscheidenden Wendepunkt, als ihnen klar wurde, dass sie an der Essstörung tatsächlich sterben könnten. Der Wunsch, sich dem Leben wieder mehr zuzuwenden, half ihnen, gegen die Essstörung anzugehen.
Für die meisten der Erzählerinnen ist der Weg zur Besserung ein andauernder Prozess. Wie es dazu kam, dass irgendwann langsam eine Veränderung stattfinden konnte, schildern die Erzählerinnen unterschiedlich: Manchen half eine Therapie (siehe Ambulante Psychotherapie und Ergänzende Unterstützung), anderen die eindringlichen Worte eines wichtigen Menschen im richtigen Moment. Es gibt Erzählerinnen, denen es half, dass ihre Lebenssituation nach und nach stabiler wurde, und andere, die einen inneren Reifungsprozess beschreiben. Für Tanja Zillich war die erste Schwangerschaft ein entscheidender Einschnitt, durch den sich die Krankheit besserte. Sie erzählt, wie sie dachte: „Dieses ich bin jetzt Mama, das kann ich doch nicht aufs Spiel setzen mit meinem ewigen Hin und Her. Das hat da keinen Platz mehr gehabt“.
Einige der Erzählerinnen betonen, dass es für sie sehr hilfreich war, zu verstehen, welche Bedürfnisse bei ihnen „hinter“ der Essstörung liegen (siehe Beginn der Essstörung). Sie sehen die Probleme rund um das Essen als Ausdruck von anderen Themen, wie Selbstwertproblemen, Suche nach Anerkennung, Prüfungsangst oder Ähnlichem. Manchen half eine Psychotherapie oder das Gespräch mit anderen Betroffenen, um solche Zusammenhänge für sich selbst zu erkennen. Sie erlebten, dass wenn es ihnen gelang, sich mit den „eigentlichen“ Themen zu beschäftigen, die Essstörung in den Hintergrund treten konnte.
Alle Erzählerinnen kennen Aufs und Abs der Essstörung. Sie erzählen, dass die Probleme rund um das Essen und die Figur nicht plötzlich weggehen, sondern in unterschiedlichen Situationen stärker oder schwächer werden. Claudia Siebert formuliert es so: „Ich habe viele Jahre lang immer geglaubt, entweder ganz oder gar nicht. Entweder ich kann sie ablegen oder ich bin krank. Also das eine oder andere. Inzwischen denke ich nicht mehr so. Es nicht schwarz und weiß.“ Einige der Erzählerinnen betonen deshalb, dass es für sie immer wieder darum geht, die Essstörung möglichst in Schach zu halten. Einige erzählen von konkreten Strategien, die ihnen in schwierigen Momenten helfen, wenn der Druck der Essstörung steigt.
Wieder mehr oder „normaler“ zu Essen hieß für viele, auch die „positiven“ Effekte der Erkrankung (siehe Beginn der Essstörung und Gedanken und Gefühle in der Essstörung) aufzugeben. Dadurch erlebten die Erzählerinnen besonders in schwierigen oder stressigen Lebensphasen immer wieder Rückschläge. Sie betonen, wie wichtig es ist, nach Rückschlägen nicht aufzugeben und sich selbst nicht noch zusätzlich damit fertig zu machen, es „nicht geschafft“ zu haben.
Einigen unserer Erzählerinnen ist schmerzlich bewusst, dass die Krankheit nie ganz wegging. Manchen von ihnen half es, „Frieden“ mit der Essstörung zu schließen um trotz aller Einschränkungen ein gutes Leben zu haben. Dennoch beschreiben andere auch, dass es ihnen mit jedem Schritt raus aus der Essstörung so deutlich besser ging, dass sie dadurch motiviert wurden, weiter zu machen. Einige unserer Erzählerinnen sagen heute, dass sie die Essstörung schließlich ganz und gar hinter sich lassen konnten.
Stefanie Peters motiviert es, dass sie wieder mehr Lebensqualität erlebt, seit sie wieder mehr isst.
Ein paar unserer Erzählerinnen sagen im Nachhinein sogar, dass sie inzwischen einen „Sinn“ darin sehen, dass sie die Essstörung bekamen. Sie sagen, dass die Erkrankung ihnen half bzw. sie überhaupt dazu brachte, sich mit sich selbst und den eigenen Lebensthemen auseinanderzusetzen. Sie finden, dass ihr Leben dadurch schließlich – nachdem die Essstörung nicht mehr so im Vordergrund stand – insgesamt besser werden konnte.