Botschaften an das Umfeld
Wie Angehörige, Freunde, Bekannte eine essgestörte Person unterstützen können, ist für die Erzählerinnen nicht einfach zu beantworten. Sie sehen deutlich, dass eine Essstörung auch für das Umfeld eine sehr schwierige, überfordernde und belastende Situation ist (siehe Familie, Partnerschaft, Kinder und Soziales Leben). Große Ambivalenzen (z.B. zwischen Handeln und Ohnmacht; zwischen Eilen und Abwarten müssen) spiegeln sich in den Antworten. Dennoch zeigen die Erzählerinnen mögliche Zugänge und Unterstützungswege auf. Falls Sie darüber hinaus Informationen oder Rat für Angehörige suchen, bietet die folgende Website fachliche Unterstützung: https://www.bzga-essstoerungen.de/verwandte-freunde0/verwandte-freunde/
Nicht wegschauen oder abwarten. Konsequent ansprechen. Hilfe anbieten.
Einig sind sich alle Erzählerinnen, dass eine Essstörung professioneller Hilfe (oder konsequenter Selbsthilfegruppenarbeit) bedarf (siehe Erfahrungen mit Ärzten, Ambulante Psychotherapie, Stationäre Klinikaufenthalte, Ergänzende Unterstützung und Andere Betroffene und Selbsthilfegruppen). Sie raten dringend davon ab, einfach abzuwarten und zu hoffen, dass sich das Problem von selbst klären wird. Ebenso raten sie davon ab, wegzuschauen, um die Betroffenen (vermeintlich) zu schonen.
Manche Erzählerinnen hätten sich insgeheim gewünscht, dass die anderen sie deutlicher konfrontiert hätten – wohlwissend, dass sie innerhalb der Erkrankung nicht reden wollten und froh waren, sich durchmogeln zu können. Als hilfreich werden offene Fragen und Hilfsangebote geschildert, die nicht direkt aufs Essen fokussieren. Abgeraten wird von zu schnellen Ratschlägen und davon, Druck zu machen. Vielmehr sollte man sich mit einem wirklichen Interesse der Person zuwenden. Die Erzählerinnen bitten zudem Angehörige von Betroffenen um Geduld und regen an, mögliche Angriffe nicht persönlich zu nehmen.
Professionelle Hilfe suchen – Selbstverantwortung der Betroffenen stärken.
Die Erzählerinnen schlagen Angehörigen vor, sich über das Krankheitsbild einer Essstörung zu informieren, Rat zu holen und professionelle Hilfe für die Betroffene zu suchen und anzubahnen. „Den Weg zum Profi kurz machen“, nennt es eine Erzählerin. Gleichzeitig benennen die Erzählerinnen sehr klar, dass die wenigsten Betroffenen nicht ausschließlich dankbar für solche Hilfsangebote sind – ein innerer Teil will in der Essstörung verharren und damit weitermachen.
Manche Erzählerinnen drängen zur Eile, damit noch in frühen Krankheitsstadien Hilfe in Form von Therapien begonnen und Schlimmeres verhindert werden kann. Bei erkrankten Kindern und Jugendlichen raten einige Erzählerinnen zu einer Familientherapie, die nicht alleine die erkrankte Person als Problem ansieht. Einzelne Erzählerinnen raten sogar, notfalls das Kind zum Doktor „hinzutragen“. Zugleich weisen die Erzählerinnen darauf hin, dass Hilfe letztlich nur möglich ist, wenn die Betroffene selbst will und zu einer Veränderung bereit ist.
Einige Erzählerinnen versuchen, die Angehörigen von dem Druck zu entlasten, helfen zu müssen. Sie betonen, dass letztendlich jeder (insbesondere jeder erwachsene Erkrankte) für das eigene Leben selbst verantwortlich ist, und niemand diese Verantwortung abnehmen kann.
Betroffene akzeptieren und unterstützen. Beziehung stärken und klären. Sich selbst öffnen.
Viele Erzählerinnen sehen, dass sinnvolle Unterstützung für Angehörige, die sich große Sorgen machen, schwer zu leisten ist. Manche sagen sogar, dass die Nahestehenden häufig nicht viel tun können, weil sie selbst zu angstvoll und verstrickt sind. Außerdem ist es schwer, das Richtige zu sagen.
In diesem ganzen Prozess sehen die Erzählerinnen für Angehörige und Freunde zugleich eine immense Hilfsmöglichkeit: „Gebt der Person das Gefühl, dass sie geliebt und akzeptiert wird, so wie sie ist!“. Diese Botschaft findet sich vielstimmig in den Interviews. Das kann bedeuten, die Betroffene in ihren Bemühungen, ihrem bereits Erreichten oder einfach ihrem Wert als Mensch anzuerkennen. Das kann auch ein schlichtes „In den Arm nehmen“ sein oder das Angebot, gemeinsam Essen oder Sport zu planen und durchzuführen, damit die Person eine Orientierung hat, was normal sein könnte.
Einzelnen Erzählerinnen hätte es gutgetan, wenn Angehörige eigene Fehler gesehen oder eingestanden hätten. Sie sehen Ursachen einer Essstörung auch in Beziehungen und nicht nur in einer einzelnen Person begründet. Manche erzählen, dass es sie verletzte, vom Umfeld auf die Krankenrolle festgelegt, stigmatisiert und beschuldigt worden zu sein. Sie wünschen sich, dass das Umfeld von Betroffenen sich für die möglichen Hintergründe, das Leid und die Missstände hinter der Essstörung öffnet. Zugleich ist es einzelnen wichtig, dass die Angehörigen niemandem die Schuld geben, und sowohl sich selbst als auch der Erkrankten verzeihen lernen.
Claudia Siebert rät, dass Angehörige sich selbst und dem kranken Menschen verzeihen.