Die Erfahrungen von Claudia Siebert
Claudia Siebert ist zum Zeitpunkt des Interviews Mitte 40 und geschieden. Sie ist ausgebildete Übersetzerin und Dolmetscherin für Englisch. In der Schulzeit begann sie mit Diäten und entwickelte eine Essstörung, die erst Jahre später während ihrer Studienzeit in den USA diagnostiziert wurde. Sie sagt, dass die Essstörung in ihrem Leben viel kaputt gemacht hat.
Claudia Siebert erzählt, dass sie in ihrer Kindheit „pummelig“ war. Mit etwa vierzehn Jahren begann sie zu „diäten“ und extrem viel Sport zu machen. Auf einmal erhielt sie Bewunderung für ihre Figur. Sie nahm schnell so viel ab, dass ihre Periode ausblieb, was von ihrem Frauenarzt jedoch nicht mit ihrem geringen Gewicht in Verbindung gebracht wurde. Mehrere Jahre ging es bei Claudia Siebert immer hin und her zwischen starker Enthaltsamkeit gegenüber Essen und Ess-Brech-Anfällen. Im Nachhinein denkt sie, dass ihr die Essstörung einen Halt gab, der ihr in ihrem Elternhaus fehlte.
Nach der Schule begann sie ein Studium in den USA und dort empfahl ein Arzt ihr eine Psychotherapie. In diesem Rahmen wurde zum ersten Mal eine Essstörung diagnostiziert. Claudia Siebert denkt, dass sie vielleicht eine Chance gehabt hätte, die Krankheit richtig loszuwerden, wenn jemand sie schon früher erkannt hätte.
Seit der Diagnosestellung hat Claudia Siebert mehrere Rehas und Psychotherapien gemacht, die sie immer wieder motivierten. Es tat ihr gut, in den Kliniken andere Betroffene kennen zu lernen und das Gefühl zu haben, nicht allein zu sein. Außerdem halfen ihr Körpertherapien immer besonders. Sie beschreibt, dass es durch die Behandlungen immer wieder auch „normale“ Phasen gab, sie jedoch immer wieder „rückfällig“ wurde. Irgendwann stellten sich schwere Krankheitsfolgen ein: Claudia Siebert hatte den Eindruck, plötzlich in kurzer Zeit körperlich sehr stark zu altern. Sie erlebte Schwindel, Schmerzen, Schwäche, Zahnausfall, fühlte sich im Beruf stark beeinträchtigt.
Claudia Siebert blieb einige Jahre in den USA. Sie arbeitete als Dolmetscherin und lernte ihren damaligen Mann kennen. Sie versuchte, Kinder zu bekommen, was aufgrund der Essstörung nicht klappte. Sie erzählt, dass sich ihr Mann später von ihr scheiden ließ, da er sagte, er könne nicht mit ansehen, wie sie sich durch ihr Essverhalten langsam umbrachte.
Claudia Siebert bezeichnet die Essstörung als besten Freund und schlimmsten Feind: Sie gehört zu ihr und gibt ihr Sicherheit. Gleichzeitig hat sie ihr Leben stark beeinträchtigt und vieles kaputt gemacht. Heute lebt Claudia Siebert wieder in Deutschland. Inzwischen denkt sie nicht mehr, dass sie entweder „ganz gesund“ oder „ganz krank“ ist. Sie versucht, mit der Essstörung ein lebenswertes Leben zu haben, auch wenn sie es immer schwieriger findet, „um die Krankheit drum herum zu leben“. Irgendwann möchte sie wieder in ihre Wahlheimat Amerika zurückkehren.
Das Interview wurde im Frühling 2016 geführt.
Alle Interviewausschnitte von Claudia Siebert
Claudia Siebert rät, dass Angehörige sich selbst und dem kranken Menschen verzeihen.
Claudia Siebert war von der Diagnose nicht überrascht.
Claudia Siebert hat unterschiedliche Formen der Essstörung erlebt.
Claudia Siebert meint, dass Dünn-sein allgemein bewundert wird.
Claudia Siebert erzählt, dass ihr die Rehas immer wieder Kraft und Motivation gegeben haben.
Claudia Siebert lernte in der Arbeit mit Pferden viel über ihre Erkrankung.
Für Claudia Siebert würde Zunehmen ein Gefühl von Kontrollverlust bedeuten.
Claudia Sieberts Mann trennte sich von ihr, weil er es nicht mehr aushalten konnte.