Die Erfahrungen von Carina Wintergarten

Portrait Carina Wintergarten ist 24 Jahre alt und gelernte Schreinergesellin. Sie möchte in naher Zukunft ein Studium der sozialen Arbeit beginnen. Aufgrund ihrer Essstörung, die in der frühen Jugend begann, hat sie mehrere Klinikaufenthalte hinter sich. Seit einiger Zeit erhält sie Unterstützung durch eine gesetzliche Betreuerin. Bei einem weiteren, bereits geplanten Klinikaufenthalt möchte sie an ihrem Körperbild und Selbstwertgefühl arbeiten.

Carina Wintergarten erzählt, dass ihre Essstörung begann, als sie mit vierzehn Jahren zu dem Schluss kam, zu kräftig zu sein. Sie fing an, weniger zu essen und gleichzeitig exzessiv Sport zu treiben, was dazu führte, dass sie schnell abnahm. Drei Schulfreundinnen merkten bald, dass mit ihrem Essverhalten etwas nicht stimmte. Mit Aufzeichnungen über das, was sie am Tag gegessen hatten, konnten sie Carina Wintergarten davon überzeugen, dass sie selbst viel zu wenig aß. Auch ihr Vater versuchte zu helfen, indem er ihren Sport kontrollierte und ihr zur Orientierung für normale Essensmengen eine Kalorientabelle gab. Das führte jedoch dazu, dass sie begann, Kalorien zu zählen.

Carina Wintergarten kam schließlich mehrfach in Kliniken, wo sie sehr unterschiedliche Erfahrungen machte. Positiv erlebte sie die ersten Aufenthalte in einer Kinder-und Jugendpsychiatrie. Sie schaffte es, eine Sondenernährung abzuwenden und von selbst zuzunehmen. Als hilfreich beschreibt sie vor allem die individuellen Esspläne, die sie dort bekam. Außerhalb der Klinikaufenthalte machte sie ambulante Psychotherapie. Im Nachhinein bringt Carina Wintergarten die Entwicklung ihrer Essstörung auch damit zusammen, dass sie eine Persönlichkeitsstörung hat.

Carina Wintergarten zog eine Zeitlang in ein betreutes psychotherapeutisches Wohnheim, wo sie Unterstützung fand, jedoch auch anfing, ihr Essen zu erbrechen. Beim regelmäßigen Wiegen täuschte sie ein höheres Gewicht vor, indem sie jeden Morgen einige Liter „auftrank“, und geriet dadurch in akute Lebensgefahr durch Blutverdünnung, was intensivmedizinisch behandelt werden musste.

Als sie achtzehn Jahre alt wurde, fing Carina Wintergarten eine Schreinerlehre an. Seitdem wird sie von einer gesetzlichen Betreuerin unterstützt, besonders in der Kommunikation mit ihren Eltern, in schwierigen Lebenssituationen und wichtigen finanziellen Entscheidungen. Die Betreuerin darf sie auch zwangseinweisen, weil Carina Wintergarten die Erfahrung gemacht hat, dass sich die Essstörung „einschleichen“ kann, ohne dass sie es selbst bemerkt.

Ein sehr positives Erlebnis war für Carina Wintergarten ein professionelles Fotoshooting, das ihr das Gefühl gab, schön zu sein, so wie sie ist. Seit vier Jahren geht es ihr psychisch besser und sie war seither nicht in einer Klinik. Die Ess-Brech-Anfälle und ihr Untergewicht sind jedoch weiterhin ein Thema. Carina Wintergarten wünscht sich, ein normales Leben zu führen, in dem sie nicht als „Krankheit“, sondern als ganzer Mensch wahrgenommen wird. Sie hat einen weiteren Klinikaufenthalt geplant, bei dem sie sich vor allem der Arbeit an ihrem Körperbild und Selbstwertgefühl widmen möchte.

Das Interview wurde im Sommer 2016 geführt.

 

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