Risiken und Sicherheit
Das Risiko, jederzeit und oft unvorhersehbar Anfälle zu bekommen, bringt viele Menschen mit Anfällen in ein Dilemma: Einerseits möchten sie sich durch die Anfälle in ihrem Leben nicht einschränken lassen, andererseits wollen sie das Risiko, sich zu verletzen oder zu gefährden möglichst gering halten.
Wie hoch das Verletzungs- oder Gefährdungsrisiko ist, hängt sehr stark von der Art der Anfälle ab.
So berichten unsere Interviewpartner von ganz unterschiedlichen Gefahren durch ihre Anfälle: Während Erzähler mit tonisch-klonischen Anfällen häufig erzählen, dass sie sich beim Sturz verletzt haben, berichten Erzähler mit komplex-fokalen Anfällen eher von der Angst, im Anfall unkontrollierte Dinge zu tun und sich damit in Gefahr zu bringen.
Viele Interviewpartner haben sich tatsächlich schon einmal verletzt. Sie beschreiben blaue Flecken, Prellungen, Platzwunden oder auch im Einzelfall Knochenbrüche oder Verbrennungen. Viele erzählen allerdings auch, dass sie bisher viel Glück hatten und mit blauen Flecken davon kamen.
Bettina Reinhard macht die Vorstellung Angst, was sie alles im Anfall tun könnte.
Monika Schulz verletzte sich beim Bügeln, als sie einen Anfall bekam.
Die Anfälle selbst oder auch die möglichen Folgen können Angst machen. Die Interviewpartner erzählen von sehr verschiedenen Umgangsformen mit der Angst. Während viele von sich sagen, die Sorge, es könne jederzeit ein Anfall auftreten, sei immer im Hinterkopf, berichten andere, dass sie sich mit der Zeit so an die Situation gewöhnt hätten, dass sie nicht mehr viel darüber nachdenken. Andere schildern, dass die regelmäßige Einnahme der Medikamente ihnen ein Gefühl von Sicherheit gibt.
Einige Interviewpartner erzählen auch, dass sie sich manchmal Sorgen machen, ob die Anfälle ihrem Gehirn schaden könnten, wurden aber von ihrem Arzt beruhigt (siehe hierzu Infos und Links).
Margarete Ziegler fühlt sich durch die Medikamente wieder sicher und frei.
Bei Beate Pohl gehört die Angst vor Anfällen zum Alltag, sie überwindet sie trotzdem.
Oliver Lorenz läßt sich durch die Angst vor Anfällen nicht einschränken.
Einige Interviewpartner erlebten in ihrer Kindheit und Jugend, dass ihre Eltern oder auch Ärzte sich sehr viele Sorgen um sie machten. Häufig wurden dann bestimmte Aktivitäten verboten, wie z.B. Klettern, Schwimmen, abends ausgehen, Fernsehen. Bei einigen führte das dazu, dass sie erst recht alle diese Dinge taten. Andere erlebten, wie ihre Eltern trotz der eigenen Sorgen auf Verbote und Einschränkungen verzichteten und ihnen ein Leben ohne Einschränkungen ermöglichten (siehe auch Thementext „Kindheit und Schule“).
Die Eltern von Monika Schulz machten sich viele Sorgen und schränkten sie damit ein.
Viele Interviewpartner berichten, dass sie in bestimmten Situationen Sicherheitsmaßnahmen ergreifen oder eigene Regeln beachten. Das gilt besonders für Aktivitäten, bei denen ein besonderes Risiko auftritt, wie z.B. beim Schwimmen. Einige erzählen, dass sie weiterhin schwimmen gehen, aber nur in Begleitung oder vorher den Bademeister informieren. Auch beim Baden in der Badewanne, Bergsteigen, Klettern, großen Veranstaltungen oder beim Hanteltraining achten sie darauf, dass jemand informiert ist. Einige verzichten auf bestimmte Tätigkeiten wie Fahrradfahren, Achterbahnfahren, Fernreisen.
Im Haushalt achten manche Interviewpartner darauf, auf dem Boden zu bügeln, die Kinder auf dem Boden zu wickeln oder nicht alleine zu kochen.
Andere beschreiben, dass sie sich nicht weiter einschränken lassen wollen und lieber Risiken in Kauf nehmen. (siehe auch Thementext: „Alltag, Freizeit und Freunde“)
Christian Voss nimmt immer jemanden mit zum Schwimmen.
Kirsten Arnold gestaltete mit ihrem Partner zusammen die Wohnung um, um sie sicherer zu machen.
Viele Interviewpartner erzählen, dass es schwierig ist, immer abzuwägen, welche Risiken man in Kauf nehmen will. Sie beschreiben, dass man nicht alles abwägen kann und man sich nicht vor allen Gefahren im Leben schützen kann.
Zudem ist es vielen wichtig, sich von der Krankheit nicht so stark einschränken zu lassen, dass die Lebensqualität darunter leidet und das Leben seinen Wert verliert. Sie nehmen die Haltung ein, dass sie sich nicht zuhause einsperren wollen, um auf den nächsten Anfall zu warten, da sie dann nichts mehr von ihrem Leben hätten. Einige gehen so weit zu sagen, dass sie alles machen, was sie wollen, da sie das Risiko sowieso nicht in der Hand hätten Andere verzichten auf einige für sie besonders risikoreiche Tätigkeiten oder versuchen ein Mittelmaß zu finden.
Wichtig ist allen dabei, dass sie mit ihrer Haltung andere nicht gefährden, wie es zum Beispiel der Fall wäre, wenn sie trotz Anfallsgefahr Autofahren würden. (siehe auch „Mobilität, Führerschein und Reisen“).
Annika Meier verzichtet auf einige Aktivitäten außer Haus.
Martin Vogt empfiehlt, ein Mittelmaß zu finden, das ist nicht immer leicht.
Bei manchen Interviewpartnern hat sich die Haltung mit der Zeit verändert. Einige berichten, dass sie früher sehr viel ängstlicher waren und wenig außer Haus gingen, sich aber irgendwann überwanden und nach und nach mehr zutrauten. Sie sind froh, das Leben heute wieder mehr genießen zu können. Andere berichten, dass sie früher sehr sorglos mit ihrer Erkrankung umgingen und zum Beispiel durch die Konfrontation mit einer anderen Erkrankung oder dem Schicksal anderer heute das Leben mehr zu schätzen wissen und deshalb bewusster mit der eigenen Gesundheit umgehen.
David Sahin erzählt, dass er die Krankheit seit dem Tod einer Bekannten ernster nimmt.
Anton Huber findet es wichtig, Risiken abzuwägen, um die Lebensfreude nicht zu verlieren.