Erste Anfälle und Diagnose
Einige unserer Erzähler können sich nicht an das Auftreten oder die Umstände ihrer ersten epileptischen Anfälle erinnern und kennen sie nur aus der Schilderung ihrer Angehörigen, weil sie schon im Kleinkindalter stattfanden.
Oliver Lorenz hatte den ersten Anfall als Kleinkind.
Erzähler, bei denen die Epilepsie mit generalisierten Anfällen begann , berichten meist von einem dramatischen Geschehen rund um den ersten Anfall, bei dem sofort für alle Beteilige erkennbar war, dass es sich hier um keinen normalen Zustand handelte. Für die Betroffenen selbst war es jedoch manchmal schwer zu glauben, dass sie einen epileptischen Anfall hatten, da sie selbst nichts davon mitbekommen hatten und erst im Krankenhaus wieder zu sich kamen.
Bei Nicole Winter war schnell klar, dass es sich um einen epileptischen Anfall handelte.
Annika Meier bekam den ersten Anfall im Schlaf.
Barbara Haas hat sehr eindrückliche Erinnerungen an die Empfindungen bei ihrem ersten Anfall.
Für David Sahin war die Diagnose nach dem ersten Anfall zuerst unrealistisch.
Bei vielen unserer Interviewpartner mit fokalen und komplex-fokalen Anfällen oder Absencen verlief die Epilepsie zu Beginn eher schleichend und wurde oft nicht sofort als Gesundheitsproblem oder Anfallsgeschehen von den Betreffenden und ihren Familien erkannt. Hier dauerte es oft lang, bis die Diagnose Epilepsie gestellt wurde. Manche erzählen, dass auch immer wieder die Frage aufkam, ob die Anfälle psychischer Natur seien, und sie auch in psychosomatischen Kliniken oder von Psychiatern untersucht wurden. Ältere Erzähler berichten, dass ihre Familien und teilweise auch die Ärzte in ihrer Kindheit wenig über die Erkrankung wußten und sie selbst kaum aufgeklärt wurden.
Bei Daniela Weber machten sich die Anfälle in ihrer Kindheit als komisches Bauchweh bemerkbar.
Manuela Walter lief als Kind unter dem Begriff „Krampfkind“.
Mit dem Verdacht eines Anfallsgeschehens wird von medizinischer Seite eine Diagnostik eingeleitet, die zum Ziel hat, die Anfälle in Entstehung und Ablauf genauer zu erkennen, mögliche Ursachen zu erfassen und Folgen für die Behandlung abzuleiten. Besonders belastend war für viele unserer Erzähler die anfängliche Unsicherheit, ob sich hinter dem Anfall möglicherweise eine bedrohliche Hirnerkrankung verbirgt. Bei einigen wurde nach dem ersten Anfall noch mit einer Therapie abgewartet in der Hoffnung, dass das Geschehen sich nicht wiederholen würde. Erst nach erneuten Anfällen wurde dann mit Medikamenten behandelt und die Diagnostik vertieft.
Susanne Schäfer machte sich Sorgen, dass hinter dem Anfall ein Tumor stecken könnte.
Unsere Interviewpartner, die nach Anfällen zur Notaufnahme in eine Klinik kamen, schildern, wie damit meist eine weitere neurologische Diagnostik einsetzte und die Diagnose gesichert wurde. Bei vielen unserer Erzähler mit weniger eindeutigen oder sehr selten auftretenden Anfällen waren die Zustände jedoch nicht sofort einzuordnen, so dass das Anfallsgeschehen erst auf längeren Wegen und mit aufwändigen Untersuchungen, manchmal sogar erst nach Jahren diagnostiziert wurde. Das Leben mit dieser Unsicherheit konnte sehr belastend sein, wie etwa bei Aylin Stein. Anna Blum schildert jedoch, dass sie froh darüber ist, durch die fehlende Diagnose noch eine Kindheit ohne Medikamenteneinnahme und ärztliche Überwachung erlebt zu haben. Einige berichten, dass sie selbst auch eine Zeitlang gern jeder weiteren Diagnostik aus dem Weg gehen wollten und die Anfälle zu verdrängen versuchten, bis sie zu belastend wurden. Manche Interviewpartner erzählen, dass die Diagnose erst in einem hoch spezialisierten Epilepsiezentrum gesichert werden konnte.
Bei Claudia Hartmann bestanden die Eltern darauf, dass das Kind stationär untersucht werden sollte.
Im Mittelpunkt der diagnostischen Verfahren steht zum einen routinemäßig die Ableitung der Hirnströme, das Elektroencephalogramm (EEG), das bei allen Erzählern zum Einsatz kam. Hier kann festgestellt werden, ob sich durch die Veränderung der elektrischen Aktivität des Gehirns ein oder mehrere Anfallsherde abzeichnen. Zum anderen berichten unsere Interviewpartner von Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren wie der Computertomographie (CT) und der Magnetresonanztomographie (MRT). Sie stellen Struktur und Funktion des Gehirns dar mit der Frage, ob sich als Ursache der Epilepsie eine Schädigung des Hirngewebes, etwa durch einen Tumor, einen Schlaganfall, eine andere Schädigungsfolge oder eine Fehlbildung auffinden lässt (siehe auch Thementext „Überlegungen zu den Ursachen“). Vor allem vor operativen Eingriffen, bei denen der Anfallsherd genau geortet werden soll, oder bei schwer behandelbaren Epilepsien mussten sich einige Erzähler einem Langzeit-EEG unterziehen („intensive monitoring“), in dem sie oft mehrere Tage überwacht wurden, bis Anfälle auftraten und aufgezeichnet werden konnten (siehe auch Thementext „Operation“). Bei einigen unserer Erzähler waren jedoch alle Untersuchungsbefunde unauffällig, obgleich die Diagnose Epilepsie nicht in Frage steht.
Sarah Schneider schildert, wie die EEGs abliefen und die Ärztin ihr den Befund erklärte.
Annika Meier schildert, wie ihr Langzeit-EEG mit Überwachung und Video-Aufnahme ablief.
Einige erzählen auch von psychologischen Untersuchungen, bei denen geistige Funktionen getestet werden, damit ihre Fähigkeiten oder eventuelle Einbußen erkannt oder die Leistungen vor und nach der Operation verglichen werden können
Claudia Hartmann erzählt von der psychologischen Testung.
Während manche berichten, dass die Diagnose Epilepsie keine großen Veränderungen in ihrem Leben bewirkt hätte, bedeutete sie für andere zunächst einen Schock, der viele Fragen aufwarf und das Leben erst mal auf den Kopf stellte, bis sie sich daran gewöhnen konnten (siehe auch Thementext „Gedanken zu den Anfällen“).
Für Renate Lang war die Diagnose ein großer Schock, mit dem sie heute noch kämpft.
Tobias König musste feststellen, dass seine Schulleistungen mit den Anfällen nachließen.