Erfahrungen mit dem Thema Operation
Neben der medikamentösen Behandlung hat sich in den letzten Jahrzehnten die Epilepsiechirurgie als eine weitere Behandlungsmöglichkeit für bestimmte Arten von Epilepsie weiterentwickelt. Wenn der Versuch mit mehreren verschiedenen Medikamenten nicht zum Erfolg geführt hat, ist es sinnvoll zu überprüfen, ob ein epilepsiechirurgischer Eingriff möglich wäre. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sich diagnostisch herausfinden lässt, woher die Anfälle im Gehirn kommen und ob der Herd auf ein bestimmtes Hirnareal begrenzt ist. In der Operation versucht man dann, dieses Areal zu entfernen. Bei Anfällen, die überall im Gehirn gleichzeitig oder von vielen verschiedenen Punkten ausgelöst werden, ist es deshalb nicht möglich, zu operieren (siehe auch "Infos und Links").
Unter unseren Interviewpartnern sind einige Menschen, die eine solche Operation hinter sich haben. Anderen wurde von den Ärzten davon abgeraten, da sich kein eindeutiger Anfallsherd nachweisen ließ oder das Risiko, bei einer Operation wichtige Hirnfunktionen zu verletzen, zu groß war. Wieder andere entschieden sich aus unterschiedlichen Gründen selbst gegen die Möglichkeit einer Operation. Zwei unserer Interviewpartner machten Erfahrungen mit der noch sehr neuen Technik der Tiefenhirnstimulation (genaueres siehe im Thementext: „Stimulationsverfahren und andere Behandlungsformen“).
Christine Becker hatte das Glück, durch eine Operation anfallsfrei zu werden.
Bevor eine Operation in Angriff genommen werden kann, ist einiges an Diagnostik nötig, um sicher nachzuweisen, von wo die Anfälle kommen und eine möglichst gute Prognose für die Chancen und Risiken der Operation treffen zu können. Eine wichtige Untersuchung ist das Langzeit-EEG oder Langzeit-Monitoring. Dabei wird ein EEG über mehrere Tage abgeleitet, um möglichst in dieser Zeit Anfälle aufzeichnen zu können. Meistens wird die Person gleichzeitig über Video überwacht, um auch das Anfallsbild einzufangen. Neben diesem Langzeit-EEG werden eine Reihe bildgebender Verfahren eingesetzt sowie häufig auch neuropsychologische Tests durchgeführt, die Aufschluss über die Struktur des Gehirns und die Ausgangsleistungen geben.
Anna Blum beschreibt, wie ein Langzeit-EEG abläuft.
Viele Interviewpartner schildern, dass es für sie nicht ganz einfach war, sich für oder gegen eine Operation zu entscheiden. Manche berichten, dass sie zwar einerseits große Hoffnungen hatten, durch eine Operation doch ihre Anfallssituation zu verbessern oder weniger Medikamente nehmen zu müssen, andererseits die Vorstellung, dass etwas aus dem Gehirn herausgeschnitten wird, als sehr beängstigend erlebten.
Annika Meier fiel die Entscheidung zuerst sehr leicht. Dann kamen ihr Bedenken.
Timo Lindner fand die Vorstellung, wie im Gehirn geschnitten wird, zuerst beängstigend.
Anna Blum suchte sich einen Therapeuten, der sie in der Entscheidungsphase unterstützte.
Heike Brinkmann war sehr froh, dass die Ärzte sie nicht in eine Richtung drängten.
Andere beschreiben ihre Lage als so hoffnungslos, nachdem sie jahrelang alles an Medikamenten ausprobiert hatten, dass es für sie eine einfache Sache war, sich trotz aller Risiken für eine OP zu entscheiden.
Für Sven Franke war es sehr hilfreich, dass seine Familie seine Entscheidung mittragen konnte.
Mit der Operation selbst machten unsere Interviewpartner verschiedene Erfahrungen. Viele berichten, dass sie sehr gut aufgeklärt und vorbereitet wurden, was ihnen die Ängste nahm. So erzählt Anna Blum, dass die Pfleger ihr vorher genau sagten, dass nicht alle Haare abrasiert werden müssen, sondern nur eine Stelle freigelegt und wie die Wunde anschließend versorgt wird.
Sven Franke schildert die OP-Vorbereitungen.
Bei einigen Patienten, bei denen schwer zu klären ist, woher die Anfälle kommen, wird vor der eigentlichen Operation eine diagnostische Operation durchgeführt, bei der Elektroden direkt auf das Gehirn gelegt werden. Anschließend wird wiederum für ein paar Tage das EEG abgeleitet, mit dem man nun sehr viel genauer feststellen kann, welche Hirnbereiche bei den Anfällen beteiligt sind.
Nach der Operation waren viele der Erzähler schon nach wenigen Tagen wieder auf den Beinen. Allerdings schildern manche auch Beschwerden, die nach der Operation auftraten: Einige hatten Kopfschmerzen, anderen war von der Narkose und den Medikamenten übel. Eine Interviewpartnerin hatte direkt nach der Operation Anfälle, ist aber seitdem anfallsfrei.
Manche Erzähler berichten von Wortfindungs- und Sprachproblemen, die nach der OP auftraten. Bei einigen kam es auch zu Einschränkungen des Gesichtsfelds. Diese Nachwirkungen bildeten sich in vielen Fällen nach einiger Zeit wieder zurück. Bei einer Interviewpartnerin blieben die Wortfindungsprobleme bestehen.
Annegret Berger hat seit der Operation Probleme mit der Wortfindung.
Für viele war die Zeit nach der Operation eine Phase mit vielen Stimmungsschwankungen, in der sie sich selbst als sehr sensibel erlebten und verunsichert waren, ob und wie viele Anfälle wohl wieder auftreten würden. Einige Interviewpartner, die durch die Operation anfallsfrei wurden, beschreiben, dass es eine Weile dauerte, bis sie sich an die neue Situation gewöhnt hatten (siehe auch Thementext „Anfallsfreiheit“).
So erzählt Timo Lindner, dass er einige Zeit brauchte, der neuen Anfallsfreiheit zu trauen. Für ihn war es klar, dass die Anfälle immer zu seinem Leben dazugehören werden. Als sie ausblieben, mußte er sich erstmal daran gewöhnen. Heute ist er seit zwei Jahren anfallsfrei und fühlt sich „jung“ und glücklich.
Daniela Weber war sehr feinfühlig nach der Operation.
Das Ergebnis der Operation, also die Verbesserung der Anfallssituation, ist natürlich von der Ausgangslage und der Art des Anfallsherds abhängig.
Einige unserer Erzähler wurden durch die Operation anfallsfrei. Bei anderen traten nach einiger Zeit wieder Anfälle auf. Häufig waren diese schwächer oder viel seltener. Zum Zeitpunkt des Interviews empfanden alle operierten Interviewpartner das Ergebnis der Operation als Verbesserung.
Anna Blum wurde eine Re-Operation angeboten, da nach einiger Zeit wieder Anfälle aufgetreten waren und sich im MRT zeigte, dass noch ein Rest des Anfallsherdes stehen geblieben war. Sie erklärte jedoch, dass sie erst einmal mit Medikamenten versuchen möchte, wieder anfallsfrei zu werden.
Die meisten unserer Interviewpartner nahmen zum Zeitpunkt des Interviews noch weiterhin Medikamente. Bei einigen rieten die Ärzte dazu, da sie von einer weiteren Anfallsbereitschaft ausgingen. Andere hatten mit dem Absetzen nach einem Jahr Anfallsfreiheit begonnen und waren noch nicht am Ende des Prozesses. Einige wollten das Risiko nicht eingehen, dass die Anfälle nochmal auftreten könnten und entschlossen sich, die Medikamente weiter zunehmen.