Anfallsauslöser und Kontrollierbarkeit
Um dem Auftreten der Anfälle nicht gänzlich ausgeliefert zu sein, ist es hilfreich, um anfallsauslösende Bedingungen zu wissen oder Vorboten eines Anfalls erkennen zu können.
Viele Interviewpartner schilderten bestimmte Bedingungen, Situationen oder Aktivitäten, die sie für sich als besonders risikoreich oder belastend einschätzten. Hier nannten sie zum Beispiel Schlafmangel, unregelmäßigen Schlaf und Umstellungen des Tagesrhythmus, intensiven Sport und körperliche Anstrengung beim Wandern, heftige Gemütsbewegungen wie Ärger oder Angst, bei manchen unserer Erzähler bedauerlicherweise auch Freude und Begeisterung. Dazu gehörten auch Rauchen und Alkohol, monotone Tätigkeiten und Dauerkonzentration, z.B. am PC, beim Puzzlen oder Spielen mit dem Game-Boy, gehäufte oder schwerere Infekte und manche Medikamente, unangenehme, vor allem hämmernde Musik, und natürlich unregelmäßige Medikamenteneinnahme oder Absinken des Spiegels durch Erbrechen, Infekte oder Wechselwirkungen mit anderen Präparaten. Nicht immer waren sie sicher, dass diese Situationen tatsächliche unmittelbare Auslöser für Anfälle waren, erlebten sie aber als stark beeinträchtigend.
Einige Interviewpartner berichten von photosensiblen Anfällen, die zum Beispiel durch Flackerlicht in der Diskothek, Dämmerlicht, Fahren durch baumbestandene Alleen mit dem raschen Wechsel von Licht und Schatten, Gewitterblitze, kleingemusterte Kachelböden oder kleinteilige Dinge im Blickfeld ausgelöst werden können..
Alexandra Ludwig beobachtete, dass Anfälle durch Lichteffekte ausgelöst wurden.
Auch bestimmte körperliche Umstellungen wie Klimawechsel und Wetterumschwünge, Schwüle und Kältephasen sowie hormonelle Schwankungen vor der Regelblutung oder in den Wechseljahren wurden von unseren ErzählerInnen als anfallsbegünstigend beobachtet.
Christine Becker konnte viele Anfallsauslöser erkennen.
Am häufigsten nannten unsere Interviewpartner Stress als auslösenden Faktor. Viele berichteten von Anfallshäufungen in Zeiten, in denen sie psychische Belastungen hatten oder unter nervlichem oder physischem Druck standen. Dabei stellten allerdings viele unserer Erzähler fest, dass ihre Anfälle nicht während der eigentlichen Phase der Anspannung oder der Gemütsbewegung kamen, sondern Stunden oder Tage danach, wenn sie sich wieder entspannen konnten. Martin Krüger hat den Eindruck, dass der Körper weiß, wann es wichtig ist durchzuhalten, und eher in unwichtigen Situationen einem Anfall nachgibt.
Viele unserer Interviewpartner fanden es jedoch trotz Führen eines Anfallskalenders unmöglich, Zusammenhänge mit dem Auftreten der Anfälle festzustellen, oder sie waren sich unsicher und konnten nur Vermutungen anstellen.
Bei Florian Beck kann sich keiner erklären, was die möglicherweise psychogenen Anfälle auslöst.
Ein Teil unserer Erzähler berichtet von Vorboten, sogenannten Prodromi, die ihnen die Gefahr eines Anfalls ankündigen. Das ermöglicht ihnen manchmal, sich zurückzuziehen oder sich nicht anstrengenden oder gefährlichen Situationen auszusetzen. Vorboten können körperliche Missempfindungen oder ein Spannungsgefühl sein. Bei manchen kündigen sich Anfälle auch schon Tage vorher in wachsendem Unwohlsein an, so dass sie sich entscheiden können, ob sie Stress vermeiden und zuhause bleiben wollen. Das Warten auf die Anfälle kann mit Angst verbunden sein, aber auch mit dem Wunsch, dass der Anfall bald kommen und die Anspannung lösen möge. Einige Interviewpartner schildern Auren oder Vorgefühle unmittelbar vor dem Anfall. Diese ermöglichen ihnen dann sich direkt in der Situation in Sicherheit zu bringen, indem sie sich z..B. auf den Boden setzen um einen Sturz zu vermeiden (siehe Thementext „Verschiedene Anfallsformen“).
Anton Huber kann lange vorher feststellen, wenn die Anfälle kommen.
Andere Erzähler erleben überhaupt keine Vorboten und werden völlig unvorbereitet vom Anfall getroffen, so dass es zu Verletzungen kommen kann. Bei vielen ist die Aura so kurz, dass sie gar nicht mehr reagieren können.
Einige Interviewpartner berichten davon, Methoden erlernt oder gefunden zu haben, Anfälle manchmal zu verhindern oder „wegzudrücken“. Manche Erzähler können einen bestimmten Punkt im Erleben vor dem Anfall benennen, bis zu dem sie noch den Eindruck von Kontrolle haben; wenn dieser jedoch überschritten ist, können sie gar nichts mehr tun und sind machtlos.
Anna Blum hat Möglichkeiten gefunden, ihren fokalen Anfällen entgegenzusteuern.
Cornelia Schmitt kann manchmal einen Anfall verhindern.
Als beste Maßnahmen, Einfluss auf die Anfälle zu nehmen, fanden die Erzähler nur die regelmäßige Medikamenteneinnahme, das Vermeiden von anfallsauslösenden Faktoren und Situationen und eine Lebensführung, die möglichst wenig Stress und Überlastung mit sich bringt. Dabei war das Gefühl, den Anfällen ausgeliefert und hilf- und machtlos zu sein, für viele die größte Belastung im Zusammenhang mit der Epilepsie.
Barbara Haas findet die Unkontrollierbarkeit der Anfälle am belastendsten an der Epilepsie.