Sinnsuche und Konfrontation mit der Endlichkeit
Neben all den Belastungen und dem Leid, das unsere Interviewpartner*innen erfuhren, berichten einige, dass sie in ihrer Krankheitsgeschichte auch nach einer Art Sinn suchten und teilweise nach dem Durchstehen der vielen Krisen gestärkt aus ihnen hervorgegangen seien. Viele erzählen, dass sie auch viel Positives erlebt oder versucht hätten, ihren Blick auf die positiven Dinge zu lenken. Dabei machten einige die Erfahrung, dass nur sie selbst nach solchen positiven Aspekten suchen konnten, sie es aber anmaßend und beleidigend fanden, wenn nicht betroffene Menschen sie dazu aufforderten, in der Krankheit einen Sinn zu sehen.
Lisa Roth erfuhr, dass der Krebs nicht nur ein Ende, sondern auch ein Neubeginn sein kann.
Clara Ott findet, dass ihr Leben durch die vielen Kontakte reicher geworden ist.
Für einige führte die Erfahrung, dem möglichen Tod ins Auge zu blicken, zu einer veränderten Lebenseinstellung.
Viele unserer Erzähler*innen beschreiben, dass ihnen „im Kopf“ immer schon bewusst gewesen sei, dass das Leben endlich ist, dass aber erst die Erfahrung am eigenen Leibe dazu führte, ihr Leben auf eine neue Weise zu betrachten.
In der Auseinandersetzung mit dem Sterben war es einigen wichtig, Vorsorge zu treffen. Manche taten dies praktisch, indem sie sich damit auseinandersetzten, wie sie sterben wollten und dies in einer Patientenverfügung festhielten. Für den Fall, dass sie selbst irgendwann nicht mehr entscheiden könnten, erstellten einige eine Vorsorgevollmacht. Viele zogen Bilanz über ihr bisheriges Leben, planten ihre Beerdigung, schrieben Abschiedsbriefe und regelten wichtige finanzielle Angelegenheiten für ihre Familien. Manche Interviewpartner*innen haben sich in diesem Rahmen auch mit Sterbehilfe auseinandergesetzt. So sagt Uwe Dierks, dass er dankbar um die Möglichkeit wäre, sein Leben unter gewissen Umständen selbstbestimmt beenden zu können.
Norbert Wagner machte sich über seinen Tod viele Gedanken und musste dafür eine Party ausrichten.
Für Maria Rich ist der größte Gewinn an ihrer Krankheit, dass sie entspannter und ruhiger wurde.
Manche beschreiben, dass sie aufgrund der Erfahrungen mit der Erkrankung bewusster lebten, ihr Leben bewusster gestalteten, Dinge angingen, die sie schon lange vor sich hergeschoben hätten oder auch Aussprachen suchten mit Menschen, die ihnen wichtig waren. Viele beschreiben, dass sie die „kleinen Dinge“ des Lebens gelassener sehen und heute mehr unterscheiden, was ihnen wichtig ist und für was es sich lohnt, sich einzusetzen oder sich zu ärgern. Die Frage, ob sie vor dem Hintergrund, dass sie eine schlechte Prognose haben, Kinder bekommen möchten, war besonders für unsere jüngeren Erzähler*innen, nicht leicht zu klären (siehe „Kinderwunsch“).
Für Gunther Kraft ist der Krebs weder Freund noch Feind, aber ein Begleiter im Leben.
Klaus Wippich lebt möglichst normal, erledigt Dinge aber lieber gleich, statt sie aufzuschieben.
Andere erzählen, dass sie der Krebs zwar erschütterte, nicht jedoch so sehr, dass bei Ihnen Gedanken an den Tod gekommen seien. Einige beschreiben, wie sie diesen Gedanken verdrängten, um noch während der langen Zeit der Unsicherheit und der anstrengenden Therapien überhaupt handlungsfähig zu bleiben.
Wieder andere bemerkten, wie ihre Umwelt Berührungsängste mit dem Thema Tod und Sterben hatte.