Arbeit und Rente
Einige unserer Erzähler*innen waren bereits im Ruhestand, als die Krebskrankheit auftrat, oder gingen keiner Erwerbstätigkeit nach. Sie äußerten, wie froh sie darüber waren, sich ausschließlich der Anpassung an die Erfordernisse der Krankheit widmen zu können. Für andere war die Erkrankung auch ein Einbruch in ihr Arbeitsleben, der erst einmal alles in Frage stellte.
Wiedereinstieg
Im Hinblick auf den beruflichen Wiedereinstieg stellten sich den Interviewpartner*innen viele Fragen und Herausforderungen. Viele hatten gehofft, nach der Operation schnell wieder arbeiten und damit auch zur Normalität zurückkehren zu können. Einige berichten, wie sie sich selbst unter Druck setzten, möglichst schnell wieder zu „funktionieren“ und wurden enttäuscht, als sich dies wegen der langen Nachbehandlungen oder rascher Nacherkrankungen hinauszögerte. Andere konnten recht schnell wieder an ihren Arbeitsplatz, sobald die Wunden verheilt waren, vor allem dann, wenn sie keine schwerere körperliche Tätigkeit ausüben mussten. Diejenigen, die mit Stoma zurückkehrten, mussten sich oft erst an die neue Situation anpassen und sich auch überlegen, inwieweit sie die Kolleg*innen informierten.
Joachim Braun fand den Wiedereinstieg problemlos, musste sich nur mit seiner Kleidung anpassen.
Henriette Schiller konnte trotz des Stomas wieder in ihrem Beruf als Krankenschwester arbeiten.
Klaus Wippich kam anfangs öfters an seine Grenzen.
Bei vielen hing die Frage, ob und wann sie wieder in den Beruf einsteigen konnten, nicht nur von ihrer gesundheitlichen Verfassung, sondern auch von der Art der Arbeit und den jeweiligen Arbeitsbedingungen ab. Manche berichten, wie wichtig bestimmte Möglichkeiten am Arbeitsplatz waren, zum Beispiel eine schnell zugängliche Toilette zu haben, sich die Zeit zum Irrigieren (Darmspülen) frei einteilen oder sich bei Erschöpfung kurz zurückziehen zu können. So schildert Sylvia Herrmann, dass sie sogar während der belastenden Chemotherapie im Home Office weiterarbeiten konnte. Einige fanden es hilfreich, dass sie beamtet waren, und empfanden ihre zuständigen Behörden als sehr entgegenkommend in der individuellen Gestaltung des Wiedereinstiegs. Andere waren als selbstständig Tätige oder in unsicheren Arbeitsverhältnissen auch finanziell darauf angewiesen, so schnell wie möglich in den Beruf zurückzukehren.
Einige Interviewpartner*innen erzählen, dass sich ein stufenweiser Aufbau der Arbeitsbelastung (stufenweise Wiedereingliederung, „Hamburger Modell“) unter ärztlicher Aufsicht als sehr hilfreich für sie erwiesen habe. So konnten sie sich den Anforderungen langsam annähern und die eigene Belastbarkeit austesten. Hierfür ist es notwendig, dass der Arbeitgeber zustimmt; es wird ein individueller Plan erstellt und die Patient*innen beziehen in dieser Zeit Kranken- oder Übergangsgeld (siehe auch https://www.einfach-teilhaben.de/DE/AS/Ratgeber/02_Hamburger_Modell/Hamburger_Modell.html).
Andere erzählen, dass sie Teilzeitarbeitsmodelle in Anspruch nehmen und mit der verringerten Belastung im Beruf bleiben konnten. Allein das Wissen, dass sie wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren könnten, empfanden manche unserer Erzähler*innen als entlastend.
Richard Linde berichtet, wie seine Schule für ihn ein Sondermodell einrichtete.
Gerd Osten fand das Arbeiten mit Ileostoma mühsam und entschied sich für Altersteilzeit.
Julia Weithe versucht noch herauszufinden, welche beruflichen Bedingungen für sie die besten sind.
Petra Thomas ist froh, in ihren Job wieder einsteigen zu können, wenn sie will.
Kolleg*innen und Vorgesetzte
Viele unserer Erzähler*innen berichten über Verständnis, Unterstützung und Entgegenkommen seitens der Kolleg*innen und Vorgesetzten, auch wenn die Betriebe dadurch oft große Schwierigkeiten bekamen. Sie konnten erleben, wie Kolleg*innen sie entlasteten und Arbeit für sie übernahmen oder problemlos akzeptierten, wenn sie Erholungszeiten brauchten.
Tim Meier stieß auf große Unterstützung und Flexibilität in seinem Arbeitskontext.
Als besonders hilfreich und wichtig beschrieben einige, offen die Veränderungen durch den Krebs wie zum Beispiel das Stoma anzusprechen, und betonten, wie angenehm es für sie war, wenn sie von den Kolleg*innen „normal“ behandelt wurden. Einige Erzähler*innen fanden es schwierig, auszuhandeln, wann sie lieber geschont und wann sie wieder als vollwertige Arbeitskraft eingesetzt werden wollten. Sie fühlten sich gekränkt, wenn sie den Eindruck hatten, die anderen würden ihnen nichts mehr zutrauen, hatten aber manchmal auch Angst, überfordert zu werden.
Klaus Wippich wollte sich von den Kolleg*innen nicht in die Krankenrolle drängen lassen.
Henriette Schiller hatte die Befürchtung, dass man ihr nichts mehr zutraut.
Einige erzählen auch von Enttäuschungen und Konflikten am Arbeitsplatz, wenn sie auf wenig Verständnis oder Desinteresse stießen.
Lisa Roth erzählt, dass ihr Chef sich nur dafür interessierte, wann sie wieder arbeiten könne.
Jutta Groß ging aus Angst vor ihrem Chef jahrelang nicht mehr zu den Kontrolluntersuchungen.
Berentung
Einige unserer Erzähler*innen gingen im Zusammenhang mit der Krebserkrankung in Rente, sei es wegen der Schwere der Erkrankung und vor allem dann, wenn Rezidive auftraten, oder, weil sie die Altersgrenze erreicht hatten. Viele empfanden dies als eine große Entlastung, andere litten zunächst darunter oder schämten sich besonders anfangs, wenn sie schon vor dem 65. Lebensjahr nicht mehr arbeiteten.
Gerlinde Zeigert tat sich erst schwer damit, die Berentung zu akzeptieren.
Einige unserer Interviewpartner*innen konnten den Übergang in die Rente fließend gestalten, indem sie noch kleine Arbeiten annahmen wie zum Beispiel Clara Ott, die Museumsführungen macht, oder arbeiteten noch stundenweise im alten Betrieb. Manche übernahmen ein Ehrenamt, oft in einer Selbsthilfegruppe für Patient*innen mit Darmkrebs, und organisierten dort zum Beispiel Fortbildungen, Reisen und Besuchsdienste für neue Stomaträger*innen.