Über Schmerzen reden
Unsere Frage, ob man anderen Menschen angemessen vermitteln könne, unter welchen Schmerzen man leide, wurde von den meisten unserer Erzählenden verneint. Viele sind der Meinung, fast das Schlimmste an einer Schmerzkrankheit sei ihre Unsichtbarkeit. Man könne sie nicht vorzeigen und nicht messen. Entsprechend schwer sei es, anderen Menschen nahezubringen, wie schlecht es einem gehen könne. Fast alle berichten, dass sie oft auf Unverständnis treffen, wenn man sich wegen der Schmerzen anders verhält, als die Umwelt es erwartet und nicht immer belastbar und gesellig ist. So erleben sie sehr oft, dass man ihnen nicht glaubt, dass sie Schmerzen haben, weil sie vielleicht gesund und stark aussehen oder sich bemühen, sich möglichst wenig anmerken zu lassen. Besonders ärgerlich finden viele es auch, wenn andere sie dazu auffordern, sich zusammenzureißen. Dies wird oft mit dem Argument begründet, schließlich habe jeder einmal Schmerzen, man müsse sich aber nicht so gehen lassen.
Lara Voigt erzählt, wie schlecht ihr Umfeld ihre Schmerzen begreifen konnte.
Margrit Hirsch stört die Unsichtbarkeit der Schmerzen nicht.
Für viele hängt es sehr von der Beziehung ab, ob man einem Menschen seine Schmerzen mitteilen kann. Sie berichten, dass nahestehende Menschen und verständnisvolle Partner*innen ihnen schon ansähen, wie es ihnen gehe, und Rücksicht nähmen, während Außenstehende doch nicht begriffen, wie einem zumute sei. So brauchen sie den Menschen ihres Umfelds oft gar nichts zu sagen, weil diese an körperlichen Zeichen und am Verhalten von selbst bemerken, wenn Schmerzen da sind, und sich darauf einstellen. Einige fühlten sich jedoch auch im familiären Kreis allein und unverstanden. Viele erzählen, dass manche Freundschaften an diesem Unverständnis zerbrochen oder aktiv von ihnen beendet worden seien. Für einige war der Aufenthalt in einer Schmerzklinik die einzige Gelegenheit, sich frei äußern zu dürfen und Verständnis zu bekommen.
Thomas Lärcher merkte, wie ihr Freundeskreis sich veränderte.
Besonders enttäuschend finden es viele Patient*innen, dass auch Ärzt*innen sehr oft nicht zu verstehen scheinen, wie es ihnen geht, ihre Beschwerden nicht akzeptieren und sie nicht ernst nehmen (siehe "Erfahrungen mit Ärzten" und "Schmerzen dokumentieren"). Einige bekamen zu hören, sie sollten sich nicht so anstellen, nach dem ärztlichen Befund könnten sie gar keine Schmerzen haben.
Die Schwierigkeit, sich mitzuteilen, rührt für einige an die grundsätzliche Frage, ob man die Schmerzen eines anderen Menschen überhaupt nachfühlen oder verstehen kann. Mehrere unserer Erzählenden finden dies unmöglich. Andere meinen, dass nur Menschen, die selbst eine Behinderung oder ein Schmerzproblem haben, wissen können, wovon man redet. Einige Erzählenden möchten andere Menschen dazu hinführen, sie besser zu verstehen, indem sie sie an ihre eigenen Schmerzerfahrungen wie etwa Zahn- oder Kreuzschmerzen erinnern und dann hinzufügen, dass sie selbst diese heftigen Schmerzen eben dauerhaft aushalten müssten. Manche erlebten, dass ihre Schmerzen erst dann ernst genommen wurden, als es eine Diagnose gab. Für einige war die erste Regelblutung und die damit verbundenen Schmerzen schambehaftet und führte dazu, dass es lange nicht angesprochen wurde.
Alexander Schwarz hält es für unmöglich, die Schmerzen eines anderen Menschen nachzuempfinden.
Fast alle berichten, wie sehr sie sich darum bemühten, sich anderen gegenüber ihre Schmerzen nicht anmerken zu lassen, nicht zu jammern und gar nicht oder so wenig wie möglich darüber zu sprechen. Hierfür fanden wir mehrere Begründungen. Zum einen liegt dies an den schlechten Erfahrungen mit dem fehlenden Verständnis der anderen, so dass die Patient*innen lieber schweigen und sich damit Kränkungen ersparen. Sie haben auch den Eindruck, dass andere Menschen die Schmerzgeschichten einfach nicht hören wollen. Viele wollen aber auch die Menschen ihrer Umgebung und vor allem ihre Partner und Kinder nicht damit belasten und die Beziehungen von den Schmerzen frei halten.
Frank Weber fällt es schwer, seine Schmerzen rauszulassen.
Anke Dreyer findet ein Geben und Nehmen wichtig.
Anderen war es sehr wichtig, nicht schwach zu erscheinen. Sie berichteten, dass sie sich selbst wohler fühlten, wenn sie den Schmerz überspielten und keine Rücksicht einforderten. Manche erzählten, dass es auch in der Familie nicht üblich gewesen sei, Schmerzen zu zeigen.
Julia Bode erzählt nur einer engen Freundin wenn es ihr schlechter geht.
Andere finden es sehr wichtig, nicht mit der eigenen Befindlichkeit hinter dem Berg zu halten, damit die Menschen der Umgebung ein klares Bild haben und sich darauf einstellen können. Julia Bode muss ihren Mann oft daran erinnern, dass sie Schmerzen hat.
In vielen alltäglichen Situationen kann es schwierig sein abzuwägen, ob man besser mitteilt, wie es einem gerade geht, oder versucht es vor den anderen zu verbergen.