Möglichkeiten und Grenzen der Medizin
Einigen unserer Erzähler*innen brachten die medizinischen Maßnahmen Klarheit, woher die Schmerzen kamen oder auch Möglichkeiten, sie zu verbessern. Viele erfuhren aber auch die Grenzen der heutigen Medizin und erlebten Ärzt*innen, die nicht weiter wussten oder hilflos waren.
Unsere Erzähler*innen berichten einerseits von großen Fortschritten und neuen Behandlungsmöglichkeiten in der Medizin, die es früher noch nicht gab, wie z.B. Rückenmarksstimulation und Morphinpumpe (Siehe dazu „Rückennmarksstimulation“ und „Morphin und andere Opioide“). Beate Schulte erzählt, dass früher manche riskanten Maßnahmen verordnet wurden, zum Beispiel komplizierte Operationen in der Skoliosetherapie, deren Komplikationen man heute kennt und abschätzen kann.
Viele unserer Erzähler*innen haben andererseits jedoch auch die Situation erlebt, dass Ärzt*innen an die Grenzen ihres Wissens und ihrer Möglichkeiten kamen und nicht mehr weiter wussten. Bei einigen Erzähler*innen konnten die Ärzt*innen nichts finden, was die Schmerzen erklärt.
Einige Interviewpartner*innen erzählten, dass der oder die Ärzt*in, als er keine Ursache finden konnte, darauf schloss, dass die Schmerzen psychisch bedingt sein müssen, was nicht immer der Einschätzung der Erzähler*innen selbst entsprach. (siehe auch „Ursachensuche und Diagnose“).
Bei einigen Erzählern war die Diagnose bekannt, aber das Krankheitsbild zu komplex oder die Krankheit sehr selten, so dass der*die Ärzt*in nicht weiterhelfen konnte oder überfordert war.
Einige Erzählerinnen berichten, dass sie enttäuscht waren, wenn der*die Ärzt*in sie mit einer Hormontherapie abspeisen wollte.
Eva Helwig war enttäuscht, dass ihre Ärzt*in nicht nach der Ursache der suchte.
Viele Erzählende wurden von ihrer*m behandelnden Ärzt*in an eine*n Spezialist*in oder Fachärzt*in überwiesen. Das erlebten einige als sehr hilfreich, da sie nun zu jemandem kamen, der sich auskannte und weiterhelfen konnte. Andere Erzähler*innen erlebten die ständige Überweisung an andere Ärzt*innen als Hilflosigkeit und fühlten sich weggeschickt. Eine Erzählerin schildert ihre Erfahrung, dass Patient*innen mit chronischen Schmerzen für Ärzt*innen unbequem und teuer sind und deshalb immer weitergereicht werden.
Als sehr schwierig schildern einige Erzähler*innen die Erfahrung, dass unterschiedliche Ärzt*innen widersprüchliche Empfehlungen geben (siehe auch „Behandlung allgemein“, „Operationen und Eingriffe“).
Die Suche nach der oder dem „richtigen“ Ärzt*in kostet viel Kraft und Ressourcen. Hier stellt sich für viele Erzähler*innen die Frage, wann sich ein Arztwechsel lohnt, und wann es besser ist, sich mit dem momentanen Zustand zu arrangieren (siehe dazu auch „Behandlung allgemein“ ).
Frank Weber erlebte die Ärzte oft als hilflos, deshalb schickten sie ihn zum nächsten Arzt.
Viele unserer Erzähler*innen wurden im Laufe der Behandlung an spezialisierte Schmerztherapeut*innen oder Spezialist*innen anderer Fachrichtungen überwiesen, da eine seltene oder komplexe Erkrankung die oder den behandelnde*n Ärzt*in überforderte. Alexander Schwarz erlebte, dass die Spezialisten in der Schmerzambulanz sich sehr gut auskannten und viel Fachwissen hatten.
Einige Erzähler*innen berichten, dass sie sich im Laufe der Zeit selbst Wissen aneigneten und selbst zu Managern ihrer Erkrankung wurden.
Julia Bode versucht es so zu sehen, dass Ärzt*innen auch nur Menschen sind.
Martin Sander empfiehlt, selbst die Krankheit zu managen.
Einige Erzähler*innen berichten, dass ihnen die ganzheitliche Sicht auf die Erkrankung in der Medizin fehlt. Eine Interviewpartnerin schildert ihren Eindruck, dass sich jede*r Fachärzt*in in seinem*ihrem Gebiet auskennt, aber mit Randgebieten überfordert ist. Das führte bei ihr nach der Geburt ihrer Kinder zu Fehleinschätzungen, die ihre heutige Schmerzerkrankung mitbedingen. Einige Erzähler*innen erlebten, dass der oder die Ärzt*in seine/ihre Einschätzung nur anhand von Bildern oder Akten machte, und dies zu einem falschen Eindruck führte.
Jutta Behrens bedauert, dass die meisten Ärzte die ganzheitliche Sicht vergessen.
Manche Erzähler*innen berichten uns, dass bei ihnen alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Einige hoffen darauf, dass die Forschung neue Behandlungsmöglichkeiten in der Zukunft zur Verfügung stellen kann. Für manche Erzähler*innen sind aufgrund individueller Risiken auch nicht alle Behandlungsoptionen nutzbar. Für Alexander Schwarz kommt aufgrund weiterer Erkrankungen die Implantation einer Schmerzpumpe nicht in Frage.
Viele Endometriose Patientinnen sind frustriert, dass bis zur Diagnose oft Jahre vergehen und die Krankheit in vielen Bereich nicht anerkannt zu sein scheint.