Partnerschaft und Sexualleben
In den Interviews wird deutlich, dass eine chronische Schmerzerkrankung nicht nur Auswirkungen auf das Leben der direkt Betroffenen selbst hat, sondern auch auf die Menschen in deren Umfeld (siehe auch "Familie und Kinder"). Häufig sind besonders die Lebenspartnerinnen und -partner eng involviert. Sie können den Schmerzerkrankten Unterstützung und Kraft bieten, geraten jedoch manchmal selbst an ihre Grenzen. Eine Schmerzerkrankung kann somit eine ernsthafte Belastung für die Beziehung darstellen, aber auch positive Seiten der Partnerschaft stärken.
Viele unserer Interviewten erzählen, dass es ihre Partnerinnen und Partner sind, die sie am meisten unterstützen und ihnen geholfen haben, auch in den schlimmsten Zeiten durchzuhalten. Sie sind häufig die wichtigsten Gesprächspartner, sind immer wieder Mutmacher, sorgen auch in Momenten starker Belastung noch für positive Aktivitäten und spenden Trost. Ein Interviewpartner erzählt, dass es seine Frau war, die ihn seiner anhaltenden Schmerzen wegen zum Arzt geschickt habe. Bei vielen der Interviewten haben die Partner den gesamten Verlauf der Erkrankung miterlebt und waren auch in schweren Zeiten immer da.
Karin Molls Mann ist mit ihr durch dick und dünn gegangen.
Die Anwesenheit oder Nähe des Anderen, besonders während Extremsituationen wie beispielsweise Operationen, wird immer wieder als große Unterstützung geschildert. Dabei ist es den Interviewten wichtig, auch in schweren Zeiten mit dem Anderen nicht ausschließlich über Schmerz und Krankheit zu sprechen.
Auch gemeinsamen Humor und gemeinsames Lachen über die Situation haben einige unserer Interviewten als sehr hilfreich und entlastend erlebt.
Häufig sind es zudem ganz praktische Hilfeleistungen, die Lebenspartnerinnen und –partner übernehmen und mit denen sie den Erzählenden das Leben erleichtern.
So kann es eine riesige Entlastung sein, wenn sich die Partner*innen um organisatorische Dinge kümmern, die mit der Erkrankung zusammenhängen, – wie Verhandlungen mit der Krankenkasse, Festmachen von Arztterminen, Informationssuche und ähnliches – weil gerade für diese Tätigkeiten häufig die Kraft fehlt. Auch bei Arztbesuchen können die Partnerinnen und Partner hilfreich zur Seite stehen.
Für Tanja Werner ist es ein großer Rückhalt, dass ihr Mann bei den Arztbesuchen mitgeht.
Bei vielen unserer Interviewten hat sich durch die Schmerzerkrankung die gesamte Aufgabenverteilung in der Beziehung verändert. Als besonders erleichternd erleben sie es, wenn sie ihre Partnerinnen und Partner nicht immer wieder um Hilfe bitten mussten, sondern sich die Neuverteilung vielmehr mit einer gewissen Selbstverständlichkeit entwickelte.
Manchmal verändert sich dadurch auch eine klassische Rollenaufteilung. So erzählen einige männliche Interviewpartner, die aufgrund der Schmerzerkrankung nicht mehr arbeiten gehen können, dass sie nun den Haushalt übernehmen und ihre Frauen dafür die Arbeit aufgestockt haben. Solche Änderungen sind nicht immer ganz unproblematisch.
Einige unserer Interviewpartnerinnen erzählen, dass ihre Männer nun viele Haushaltstätigkeiten übernommen haben, die sie selbst nicht mehr bewältigen können. Anderen ist es wichtig, sich in der Partnerschaft gerade diese Tätigkeiten trotz der Erkrankung nicht nehmen zu lassen.
Manchmal können im Haushalt anfallende Arbeiten nicht mehr so schnell und aufwändig wie früher erledigt werden, wenn einer der Partner*innen aufgrund einer Schmerzerkrankung ausfällt. Dann kann es hilfreich sein, sich gemeinsam auf weniger Perfektionismus zu einigen und auch mal guten Gewissens etwas liegen zu lassen.
Aber auch gemeinsame Freizeitaktivitäten verändern sich, wie einige Erzähler berichten. Schwierig ist für viele Paare, wenn Hobbies und Aktivitäten, die früher immer zusammen gemacht wurden, nun nicht mehr gemeinsam möglich sind und damit ein wichtiger Bestandteil der Partnerschaft verloren geht. Jutta Behrens erzählt, dass sie, als die Schmerzen sehr schlimm waren, nicht mehr mit ihrem Mann wie jedes Jahr im Urlaub Pilze suchen konnte. Das machte sie traurig.
Eine Umverteilung der Aufgaben und Neugestaltung des Haushalts funktionieren jedoch nicht bei allen Paaren. Eine Interviewpartnerin erzählt, dass sie alle Aufgaben, die sie zuvor erledigt hat, auch weiterhin übernimmt. Einerseits sei sie zu stolz, diese Aufgaben abzugeben, andererseits zeige ihr Mann wenig Verständnis für ihre Schmerzen.
In den Interviews wird immer wieder deutlich, dass Verständnis und Einsicht, aber auch die Erfahrung des*der nicht betroffenen Partner*in hinsichtlich der Erkrankung des anderen sehr hilfreich und wichtig sind. Ein Interviewpartner erzählt, dass seine Beziehung auch aufgrund des mangelnden Verständnisses und der mangelnden Hilfsbereitschaft seiner Partnerin bezüglich der Schmerzerkrankung in die Brüche ging.
Bei anderen haben die Lebenspartnerinnen und -partner im Laufe der Zeit gelernt, mit der Situation umzugehen.
Meike Decker hat unterschiedliche Erfahrungen in ihren Partnerschaften gemacht.
Einige erzählen, dass die Partnerinnen und Partner gelernt haben, die Schmerzen einzuschätzen und ihnen inzwischen ansehen, wenn sie Schmerzen haben. Manchmal können die Partnerinnen und Partner dadurch sogar besser erkennen, wann Belastungsgrenzen erreicht und Pausen angebracht sind, als die Betroffenen selbst.
Für Rita Ahlers ist ihre Partnerschaft ein Geben und Nehmen.
Es kann für die Partnerinnen und Partner jedoch auch schwierig sein, einzuschätzen, wie es dem anderen geht und was er gerade braucht. So versuchen manche der Betroffenen, sich den Schmerz nicht anmerken zu lassen. Andere wissen in Schmerzsituationen selbst nicht so genau, was sie sich von dem anderen wünschen, oder können es nicht kommunizieren.
Die Interviewten beschreiben, wie sich auch das Leben der Partnerinnen und Partner durch die Schmerzerkrankung oft sehr verändert habe. Viele schildern, wie sehr diese unter ihrer Hilflosigkeit angesichts der Schmerzen leiden. Sie bekommen die Schmerzattacken und die Verzweiflung ihrer Lieben hautnah mit und können meist kaum etwas tun, um deren Leid zu lindern. Dazu kommt, dass viele Erzähler*innen beschreiben, dass sie während der Schmerzattacken sehr gereizt und launisch sind. Auch das müssen die Partner manchmal mit aushalten.
Julia Bode weiß, dass sie auch ihren Partner im Blick halten muss.
Die Interviewten erzählen, wie auch das Leben der Partnerinnen und Partner sich durch die Schmerzerkrankung oft sehr verändert hat. Sie müssen neue Aufgaben übernehmen, in vielen Bereichen zurückstecken, sind häufig alleine, wenn die Betroffenen in Schmerzkliniken sind. Zudem müssen sie ebenso wie die Betroffenen das Auf und Ab an Hoffnung und Verzweiflung aushalten. Eine Interviewpartnerin erzählt, dass sie deshalb besonders froh ist, wenn andere Menschen auch mal ihrem Mann etwas abnehmen. Andere versuchen, ihre Partner möglichst wenig zu belasten.
Eine besondere Situation entsteht, wenn nach langen Jahren der Schmerzerkrankung glücklicherweise eine Besserung eintritt. Mehrere Erzählerinnen berichten, dass ihre Partner unter den Schmerzen mitgelitten hatten. Als dann die Schmerzen nicht mehr da waren, war es für die Partner nicht leicht, diese Veränderung auch mitzumachen.
Viele Interviewpartnerinnen erzählten von der schmerzlichen Erfahrung eines unerfüllten Kinderwunsches. Einige wollen die Hoffnung noch nicht aufgeben, während andere umso dankbarer sind Kind(er) trotz der Erkrankung bekommen zu haben.
Meike Decker entschied sich frühzeitig dafür Eizellen einfrieren zu lassen.
Auch das Sexualleben kann unter den Schmerzen und der Einnahme von starken Schmerzmitteln leiden.
Maja Geissler weiß, dass ihr Partner sehr viel Rücksicht nehmen muss.
Wiederholt beschreiben die Interviewten jedoch auch, dass ihre Partnerschaft durch die Schmerzerkrankung stärker zusammengewachsen und verständnisvoller geworden ist. Eine Interviewpartnerin machte die Erfahrung, dass das Sexualleben sogar an Intensität gewann.