Umgang und Unterstützung
Krankheitsbewältigung und innere Haltung
Unsere Interviewpartner haben individuell ihren Umgang mit der Brustkrebserkrankung entwickelt und verschiedene Dinge gefunden, die sie bei der Bewältigung der Krankheit unterstützt haben. Dies kann Veränderungen im Ernährungs- und Bewegungsverhalten beinhalten sowie mit ihrer inneren Haltung zusammenhängen. Thomas Bergmann erzählt, dass ihm Bewegung sehr gut tut und er versucht, diese regelmäßig einzubauen. Ihm ist im Laufe seiner Krebserkrankung bewusstgeworden, wie wichtig die eigene Gesundheit und Achtsamkeit mit dem Körper sind. Dazu gehört auch, dass er sich seine freie Zeit bewusster einteilt und genießt. So ist er in Frührente gegangen und reist gerne mit seiner Frau. Heiner Töpfer wurde zwar durch seine Brustkrebserkrankung sowie weitere gesundheitliche Probleme und Krankheiten die Endlichkeit des Lebens bewusst. Dennoch betrachtet er es als etwas Besonderes, dass ihn eine so seltene Erkrankung getroffen hat und nutzt die Tatsache, sich für Männer mit Brustkrebs einzusetzen.
Infolge der Krebserkrankung achtet Klaus Deckmann noch mehr auf einen gesunden Lebensstil.
Thomas Bergmann hat die Krebserkrankung sensibler und zugleich entspannter gemacht.
Klaus Deckmann hat den Krebs als eine Art Projekt gesehen, dem er mit Durchhaltevermögen begegnet.
Soziale und psychische Unterstützung
Neben Strategien zum Umgang mit der Krankheit waren unseren Interviewpartnern einige Menschen in ihrem Umfeld eine große Unterstützung. Dazu zählen insbesondere Partnerin, Familie und Freundeskreis. Grundsätzlich berichten alle Interviewpartner, dass sie gegenüber diesen Menschen einen offenen Umgang mit der Erkrankung hatten und diese entsprechend kommuniziert haben. Auch die Inanspruchnahme von psychischer Unterstützung, beispielsweise durch Selbsthilfe, Psychoonkologie und -therapie, hat den Männern geholfen.
Klaus Deckmann hat seine Erkrankung direkt zum Thema gemacht.
Seine Frau war laut Klaus Deckmann wiederum zurückhaltend.
Klaus Deckmann erzählt darüber hinaus, dass seine Frau mittlerweile auch als Angehörige in die Selbsthilfe integriert ist und dadurch offener mit der Krankheit ihres Mannes und ihren Ängsten umgehen kann. In Bezug auf die Ängstlichkeit der Partnerin berichtet Thomas Bergmann Ähnliches. Seine Frau hätte eher damit gerechnet, dass der Brustkrebs bei ihr auftritt, da ihre Mutter bereits Brustkrebs hatte und an den Folgen verstorben war. Der Brustkrebs ihres Mannes bereitete ihr laut Thomas Bergmann große Sorgen. Sie versorgte ihren Mann vor allem in der Zeit während der Chemotherapie und beiden half es sehr, gemeinsam eine psychotherapeutische Sitzung in Anspruch zu nehmen. Darüber hinaus hat Thomas Bergmann über seine Arbeitsstelle eine psychologische Beratung in Anspruch genommen, nachdem ihn die Krankheit „emotional eingeholt“ hat und er depressive Verstimmungen spürte. Heiner Töpfer hat seine jetzige Frau in einem Tantra-Seminar kennengelernt. Dies hat ihm vor dem Hintergrund von Behandlungsfolgen wie Erektionsstörungen insbesondere auch neue Horizonte im Sexualleben ermöglicht. So erleben die beiden diese Alternativen als sehr positiv.
Thomas Bergmann hat vor allem im Kontext seines Engagements in der Selbsthilfe viele neue Menschen kennengelernt, die er heute als Freunde bezeichnet. Dennoch sind ihm in seinem sozialen Umfeld auch Menschen aus dem Weg gegangen.
Thomas Bergmann begegnet in seinem Freundeskreis unterschiedlichen Reaktionen.
Das Engagement in der Selbsthilfe liegt unseren Interviewpartnern sehr am Herzen. Hierzu gehört neben dem Austausch mit anderen Betroffenen und Angehörigen auch, dem Thema Brustkrebs beim Mann durch Informationsveranstaltungen und Aktivitäten mehr Aufmerksamkeit in der Gesellschaft einzuräumen. So berichtet Thomas Bergmann, dass er bei vielen Männern, die die Selbsthilfe aufgesucht haben, Erleichterung wahrnimmt.
Für Klaus Deckmann ist die Selbsthilfe ein Geben und Nehmen.
Informationssuche und Vernetzung
Unsere Interviewpartner haben im Kontext ihrer Brustkrebserkrankung früher oder später direkt oder indirekt, beispielsweise über Selbsthilfegruppen und mithilfe von Angehörigen, nach Informationen gesucht und diese eigeninitiativ dokumentiert und organisiert. Im Internet haben sie manchmal gute und hilfreiche Informationen gefunden. Vereinzelt fanden unsere Interviewpartner die Informationen im Internet auch dürftig oder schätzten deren Qualität als schlecht ein. Heiner Töpfer gab es irgendwann auf, „Dr. Google“ zu fragen, weil er keine Schreckensgeschichten mehr lesen wollte und ihm bewusstwurde, dass er seinen eigenen, individuellen Verlauf hat.
Heiner Töpfer ist der Meinung, dass „Dr. Google“ ausgedient hat.
Was das Internet und digitale Möglichkeiten angeht, haben unsere Interviewpartner es geschätzt, dass insbesondere während der COVID-19-Pandemie ein digitaler Austausch, vor allem in der Selbsthilfe, stattfinden konnte. Thomas Bergmann war Teil eines Fernsehbeitrags und berichtet, dass ein Mann dadurch auf Brustkrebs aufmerksam wurde, einen Gynäkologen aufsuchte und tatsächlich die Diagnose bekam.
Ursachen, Scham und Schuld
Neben unangenehmen Situationen mit Gesundheitspersonal und dem fehlenden Platz im Versorgungssystem berichten unsere Interviewpartner von weiteren Erlebnissen und eigenen Krankheitstheorien, die zum Teil mit Scham und Schuldzusammenhängen. Sie machten sich vereinzelt vor allem zu Beginn der Erkrankung Gedanken, was sie im Leben falsch gemacht haben, legten es jedoch auch im Laufe der Krankheit ab, alles zu hinterfragen und die Schuld bei sich zu suchen. Klaus Deckmann erzählt, dass er in seinem Leben viel „Junkfood“ gegessen habe uns seine Frau vergleichsweise spät kennengelernt und geheiratet habe. In seiner Ehe und nach der Diagnose wurde sein Lebensstil deutlich gesünder. Thomas Bergmann hat sich die Frage gestellt, was er verbrochen und im Leben falsch gemacht habe. Dies hatte für ihn nicht nur mit Schuld zu tun, sondern er war gewissermaßen auch neugierig und wollte die Ursachen wissen. Mittlerweile hat er erfahren, dass keine eindeutigen Gründe nachgewiesen werden können und die Entstehung von Brust- und auch anderen Krebsarten ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren ist. Klaus Deckmann sieht dies ähnlich und vergleicht die Entstehung von Rezidiven und Metastasen mit der Wahrscheinlichkeit, im Lotto zu gewinnen. So sei beides sehr ungewiss und dem Zufall zu schulden.
Dadurch, dass Brustkrebs beim Mann gesellschaftlich bisher wenig präsent ist und es an Aufmerksamkeit fehlt, empfinden einige Männer mit Brustkrebs Hemmschwellen, sich Hilfe zu suchen und sind im Umgang mit ihrer Erkrankung sehr verschlossen. Thomas Bergmann freut sich daher immer sehr, wenn Männer mit Brustkrebs die Selbsthilfe aufsuchen und sich austauschen wollen.
Thomas Bergmann kennt viele Männer mit Brustkrebs, die Scham empfinden.
Altern, Tod und Sterben
Unsere Interviewpartner haben sich durch ihre Krebserkrankung auch mit der Zukunft, beispielsweise im Kontext von Altern und Sterben, auseinandergesetzt. Sie sind zum Zeitpunkt des Interviews alle berentet und ihnen ist bewusst, dass der Prozess des Alterns voranschreitet. Dies löst manchmal ein beunruhigendes Gefühl aus, zumal viele Menschen im sozialen Umfeld ein ähnliches Alter haben und sie häufiger mit körperlichen Beschwerden und Krankheit konfrontiert werden. Zugleich wollen unsere Interviewpartner sich nicht zu stark sorgen und ihr Leben genießen. Sie haben darüber hinaus alle Hoffnungen auf die Forschung und die Entdeckung von „Neuheiten“. Konkret beschreiben sie dabei ihren Anspruch an die Forschung, Unterschiede zwischen Männern und Frauen mit Brustkrebs zu berücksichtigen, was in die Gendermedizin eingeordnet werden kann. Hierbei geht es um geschlechtssensible und -spezifische Forschung, durch die gezieltere Diagnosen und Behandlungen ermöglicht werden können.
Für Heiner Töpfer wurde durch den Brustkrebs die Endlichkeit des Lebens deutlicher.