Auswirkungen auf die Familie

Die meisten unserer Interviewpartnerinnen erfahren Unterstützung und Begleitung durch ihre Angehörigen: Sie gehen zu Arztgesprächen und Untersuchungen mit, helfen der Erkrankten in der Zeit der Behandlung im Alltag wie zum Beispiel durch Essen Kochen und Botengänge, sie geben auch seelischen Beistand und holen Informationen ein. Die Frauen erzählen, dass sie sich dadurch aufgefangen fühlen, geborgen und gehalten. Sie betonen immer wieder, wie wichtig die Familie für das Gesundwerden sei und äußern Dank, dass ihre Angehörigen hinter ihnen stehen. Viele machen sich allerdings auch Gedanken, inwieweit sie ihre Familien belasten können beziehungsweise belasten wollen. So ist das Ausmaß, wie weit unsere Interviewpartnerinnen Unterstützung in Anspruch nehmen, unterschiedlich: Bei manchen der Erzählerinnen ist die ganze Großfamilie in die Begleitung mit einbezogen, bei anderen ist es hauptsächlich der Partner oder die Partnerin. Auch wann und wie Hilfe und Begleitung gewünscht ist, wird verschiedentlich aufgefasst: Einige sind froh um ständigen Beistand, andere wollen nicht, dass immer jemand da ist, weil sie Zeit für sich alleine brauchen und viel mit sich selbst ausmachen. Einige Frauen mussten auch lernen, sich helfen zu lassen und von ihrer Familie daran erinnert werden, dass sie nicht alles alleine schaffen müssen. Bei einigen Frauen wohnt die Familie weit weg oder auch im Ausland, einzelne haben wenig oder keinen Kontakt zur Familie und suchen im Freundeskreis Unterstützung. (Freundeskreis)

Tanja Auer wurde immer von ihrer Tochter und ihrem Mann begleitet und erlebte Rückhalt durch die Schwiegereltern.

Die Geschwister von Nurguel Dogan begleiteten sie zu allen acht Chemotherapie-Sitzungen.

Gudrun Altmann wollte irgendwann gar nicht mehr, dass immer jemand aus der Familie zu Hilfe kommt.

Nicht immer ist der Umgang mit der Familie unproblematisch. Wenn die Angehörigen nicht zu Besuch ins Krankenhaus kommen oder nicht über die Erkrankung sprechen, kann das belastend sein, berichten einige der Frauen. Andere erzählen, dass sie die Familie trösten und beschwichtigen mussten, obwohl sie selbst seelischen Beistand gebraucht hätten. Manchmal sei es auch schwer, den Angehörigen deutlich zu machen, dass man zwar Hilfe brauche, aber trotzdem das Gefühl von Selbstständigkeit behalten wolle, beschreiben einige der Erzählerinnen. In diesem Zusammenhang findet es Iris Ludwig wichtig, dass die Familie informiert ist über die Erkrankung und ihre Begleiterscheinungen, damit sie eine bessere Stütze bieten können.

Monika Hechstein hätte sich gefreut, wenn die Familie im Krankenhaus da gewesen wäre. Das war nicht der Fall.

Julia Bring möchte nicht zu viel Hilfe und knetet gegen ihre Wutausbrüche einen Wutball.

Fast alle Interviewpartnerinnen machen sich Sorgen, welche Auswirkungen ihre Erkrankung auf die Familie hat. Manche unserer Erzählerinnen zeigen nicht, wie schlecht es ihnen geht, damit der Alltag der anderen Familienmitglieder möglichst wie gewohnt weiterlaufen kann. Andere empfinden gerade die Familie als eine Art Schutzraum, wo sie sich gehen lassen und so sein können, wie sie sind. Miriam Sulz-Brecht erzählt, dass sie wenig Hilfe von außen annehmen konnte: „Da ist Familie einfach besser, da ist es einem dann ganz egal, wie man aussieht und ob man auf Toilette ist und sich übergibt oder ob das auch jemand mitbekommt. Weil das eine sehr private Sache ist.“

Für einige der Frauen war es wichtig, sich in die schwierige Lage des Mannes hineinzuversetzen. Dabei haben einzelne die Erfahrung gemacht, dass ein ehrliches Gespräch mit dem Partner über beidseitige Gefühle helfen könne. (Sexualleben und Partnerschaft) Einige Interviewpartnerinnen wollen ihrer Familie „keinen Kummer machen“ und nicht „ständig etwas vorjammern“. Das gilt vor allem auch in der Zeit nach den Behandlungen.

Elke Ferch zeigte ihrer Familie nicht, wenn es ihr schlecht ging. Heute würde sie es anders machen.

Helga Dietrich möchte nicht, dass ihr Mann ein schlechtes Gewissen hat, wenn er arbeiten geht.

Irmgard Hansen jammert nicht vor ihren Kindern und versucht, aus Allem etwas Gutes zu machen.

Vor allem die Mütter unter den Interviewpartnerinnen sehen sich dem Auspendeln gegenüber, selbst für die Familie da sein zu wollen und Zeit für sich und die Behandlungen zu brauchen. (Kinderwunsch, Schwangerschaft und Muttersein) Oft ist es dann wiederum die eigene Mutter, die nicht nur zur Betreuung der Enkelinnen und Enkel Unterstützung anbietet, sondern die Tochter auch versorgt. Viele, auch ältere Interviewpartnerinnen erzählen, dass ihre Mutter auf Wunsch bestimmte Speisen für sie zubereitet und im Haushalt ausgeholfen habe. Entsprechend der individuellen Lebenssituation nehmen sie diese Hilfe gerne an und berichten, dass ihnen das ein Gefühl der Geborgenheit gegeben hätte. Die meisten unserer Frauen sind überzeugt davon, dass ihre Eltern (egal welcher Generation) besonders litten, als sie von der Krankheit der Tochter erfuhren. Manchen der Interviewpartnerinnen fällt es schwer, mit ihnen darüber zu sprechen, gerade auch wenn die Eltern schon ein hohes Alter erreicht haben. Dann stehe die Gesundheit der Eltern im Vordergrund und unsere Erzählerinnen sagen, dass sie ihnen die eigene Erkrankung nicht zumuten wollen. Sie versuchen, Stärke zu demonstrieren. Manche machen auch anders herum die Erfahrung, dass es ihren Eltern schwerfällt, über die Erkrankung zu sprechen. Greta Tietze-Stein vermutet, dass ältere Generationen es auch nicht gelernt hätten, Gefühle zum Ausdruck zu bringen.

Während der Chemotherapie führte Carolin Zennings Mutter den Haushalt und kümmerte sich um die Enkelin.

Gabriele Ohler glaubt, dass es schwer für ihre Eltern ist, sie leiden zu sehen.

Tova Goldblum berichtet, dass ihre Eltern sie nicht direkt auf ihre Erkrankung ansprechen können.

In einer besonderen Situation sind unsere Interviewpartnerinnen, deren Eltern nicht in Deutschland oder sehr weit weg wohnen. So sei es schwierig, bei seltenen Besuchen über die Krankheit zu sprechen. Das führe manchmal dazu, dass man sich alleine fühle, erzählen die betroffenen Frauen. Es half dann manchen, sich eine Gesprächspartnerin zu suchen: Entweder in einer Selbsthilfegruppe oder bei einer Krebsberatungsstelle.

Nurguel Dogan erzählte ihren Eltern, die im Ausland wohnen, erst einmal nichts von ihrer Erkrankung.

Tova Goldblums Familie lebt nicht in Deutschland. Sie flog hin, um die Diagnose mitzuteilen.

Doris Teller findet Gesprächspartner*innen für Alleinstehende wichtig. Sie geht zur Krebshilfe.