Auswirkungen auf Beruf und Ausbildung
Die Interviewpartnerinnen, die berufstätig sind, standen vor der Herausforderung, die Diagnose bei der Arbeitsstelle bekannt zu geben und zu entscheiden, ob und wie viel Arbeit sie sich vor und während der Behandlungszeit zumuten wollen. Schon das Aufsuchen der Arbeitsstelle und das Bescheid Geben wurde unterschiedlich von unseren Interviewpartnerinnen gehandhabt: Einige Frauen gingen sehr offensiv vor und informierten noch vor der Operation ihre Arbeitgeber*innen und alle ihre Kolleg*innen. Andere waren zunächst zurückhaltend oder sprachen nur mit einzelnen Personen über die Diagnose.
Als Bianca Winkler von Büro zu Büro ging, um ihre Diagnose mitzuteilen, erfuhr sie viel Anteilnahme.
Manche der Frauen gehen auch in der Behandlungszeit ihrer beruflichen Tätigkeit nach. Sie geben als Begründung an, dass die Arbeit sie vom Grübeln abhalte und ihren Tag strukturiere bzw. ihnen das Gefühl von Normalität vermittle. Nicole Bissinger erklärt zum Beispiel, dass es ihr psychisch nicht gut gegangen wäre, wenn sie monatelang zu Hause hätte verbringen müssen. Wie sie, arbeiten einige auch während der Chemotherapie in Vollzeit, andere treffen Absprachen mit ihren Arbeitgeber*innen und arbeiten stundenweise. Vor allem die Selbstständigen unter unseren Erzählerinnen versuchen, noch vor und zwischen den Behandlungen bestimmte Aufgaben fertig zu stellen bzw. zu übergeben. Kirsten Seifert konnte allerdings für manche ihrer Kurse, die sie freiberuflich anbietet, keine Vertretung finden. „Die (Kurse) habe ich weiterhin gegeben und das war auch gut so, weil mir das selber geholfen hat, zu sehen, ich kann es noch, es geht, wenn es auch nicht immer leicht ist“, erzählt sie. Viele der Interviewpartnerinnen berichten aber auch, dass die Diagnose sie so beschäftigt habe, dass sie sich nicht mehr auf ihre Arbeit konzentrieren konnten und froh waren, krankgeschrieben zu werden. (Finanzen, Krankengeld, Schwerbehindertenausweis) So ist das Arbeiten während der Chemo- oder auch der Strahlentherapie für einige undenkbar, da die Nebenwirkungen zu heftig waren (Nebenwirkungen der Chemotherapie). Setzt eine Patientin ihre Arbeit aus, besteht die Möglichkeit der Wiedereingliederung durch das sogenannte Hamburger Modell: Erst werden nur wenige Stunden gearbeitet, dann die Zeit gesteigert, um dann nach und nach wieder zur Vollbeschäftigung zu kommen. Einige Frauen nehmen sich bewusst viel Zeit, um wieder gesund zu werden. Auch das ist für Selbstständige schwierig, wie einige unserer Erzählerinnen berichten.
Nurguel Dogan geht auch während der Chemotherapie arbeiten.
Eva Manz nutzte während der Chemo das Hamburger Modell und steigerte ihre Arbeitszeit.
Carolin Zenning ging erstmal nicht arbeiten und ließ sich zwei Jahre Zeit, gesund zu werden.
Als Selbstständige ist es Brigitte Rose wichtig, nicht so lange auszufallen.
Hilfreich empfanden unsere befragten Frauen, wenn die ArbeitgeberInnen und KollegInnen entgegenkommend und wertschätzend waren. Silke Winters Chef überließ es ihr, zu arbeiten, wie sie kann und sich ihre Zeit selbst einzuteilen. Auch Angelika Kellers Arbeitsumfeld ist sehr entgegenkommend. Sie geht einer geringfügigen Beschäftigung in einem Imbiss nach. Selbst, wenn es nur ein paar Stunden sind, genießt sie es, unter Leute zu kommen und einen Ausgleich zu haben. Leider haben nicht alle nur wohlwollende Erfahrungen gemacht. Marion Pfulding zum Beispiel belastet der Umgang in ihrem Unternehmen: Sie fühlt sich abgeschrieben und wünscht sich, dass die Vorgesetzten Kontakt zu ihren krankgeschriebenen Mitarbeitenden halten würden (Auseinandersetzung mit Ablehnung, Kränkungen, Schuld- und Schamgefühlen). Eva Manzs Chefin richtet dagegen den Wohltätigkeitsball der Firma zugunsten der Brustkrebsforschung aus und bittet sie, eine Rede zu halten, was diese tut.
Doris Tellers Abteilungsleiter und ihre Kollegin erkundigten sich nicht, wie es ihr geht.
Gudrun Altmann freute sich über Geschenke und Briefe von der Arbeitsstelle.
Jasmin Nussing erhielt viel Entgegenkommen von der Schule.
Letztlich stellt sich auch die Frage, wie die Arbeit auf längere Sicht gestaltet werden soll. Einige der Interviewpartnerinnen klagen über Konzentrationsschwierigkeiten nach ihrer Erkrankung. Eva Manz war beispielsweise ihre Vergesslichkeit peinlich, seit sie aber von ihrem Onkologen weiß, dass das Begleiterscheinungen der Therapien sind, geht sie gelassener damit um. Viele der Interviewpartnerinnen berichten auch, dass sie weniger Kraft und Ausdauer als vorher hätten und deshalb das Pensum drosseln wollen bzw. eine Arbeitsreduzierung anstreben würden. Manchmal müssen neue Arbeitsbedingungen mit der Arbeitsgeber*in oder den Kolleg*innen ausgehandelt werden. Tova Goldblum bittet zum Beispiel aktiv ihre Kolleg*innen um Rücksicht. Sie erklärt ihnen, dass sie zwar gesund aussehe, aber wegen ihrer Brustoperationsnarben Hilfe beim Tragen bräuchte. Marion Pfulding findet, dass die Führungskräfte sich grundsätzlich auf Langzeiterkrankte einstellen müssten: Sie wünscht sich, dass Krebserkrankte selbst bestimmen sollten, wann und wie viel man arbeite. Zudem mag sie es nicht mehr hören, dass man ihr rät, weniger zu tun: Sie habe immer gerne ihre Tätigkeit ausgeübt und will das auch weiterhin tun.
Doris Teller leidet noch immer unter Vergesslichkeit und erlernt Strategien, damit umzugehen.
Waltraud Amann wollte nicht für zwei Jahre in Rente gehen, denn Arbeiten gehen hilft ihr.
Weil Helga Dietrich keine Kraft mehr hatte, Vollzeit zu arbeiten, reduzierte sie.
Manche Frauen nehmen die Erkrankung auch zum Anlass, sich beruflich zu verändern. So macht die im medizinischen Bereich ausgebildete Carolin Zenning eine Umschulung: Seit sie selbst Patientin war, kann sie nicht mehr in diesem Feld arbeiten, erzählt sie. Silke Winter kann sich wiederum beruflich nichts Anderes mehr vorstellen, als im Kontext von Versorgungsforschung und Pflege zu arbeiten und sieht hierin nach der Erkrankung noch mehr Sinn. Je nach individueller Situation denken einige der befragten Frauen auch darüber nach, ihre Arbeit ganz aufzugeben und eine Frühpension anzustreben. Andere sind dazu gezwungen: Für Frauen mit sehr starken Nebenwirkungen durch die Therapien, einer Zweiterkrankung oder mit Metastasen konnte die Diagnose auch eine Berufsunfähigkeit bedeuten. Alina Schiller musste wiederum aus einer finanziellen Not heraus wieder arbeiten gehen, obwohl sie sich noch nicht fit genug fühlte (Finanzen, Krankengeld, Schwerbehindertenausweis und Leben mit Rezidiv oder Metastasen) Sehr viele unserer Interviewpartnerinnen finden durch die Erkrankung auch zu einer veränderten Haltung zur Berufstätigkeit: Sie streben Stressreduzierung und Gelassenheit an und setzten die Prioritäten zugunsten des Privatlebens.
Baerbel Grafenbach wollte in ihrem Leben etwas ändern und hörte mit dem Beruf auf.