Informationssuche und Entscheidungsfindung
Nach der Diagnosemitteilung (Diagnosestellung) und den Behandlungsvorschlägen durch die Ärzt*innen stellte sich für die meisten unserer Interviewpartnerinnen die Frage, ob, wann, wo und wie sie weitere Informationen über Brustkrebs und über Therapien einholen können. Auch im Verlauf der Erkrankung gibt es immer wieder Situationen, in denen unsere Frauen vor Entscheidungen stehen, für die sie Informationen suchen. Entweder ist etwas im ärztlichen Gespräch unklar geblieben, es bestehen Zweifel oder es gibt konkrete Gründe, kritisch zu sein. Für manche war es hilfreich, die von ärztlicher Seite festgelegten Therapien als Vorschläge zu sehen und selbst aktiv mit zu entscheiden. Dies helfe gegen das Gefühl, einer Behandlung ausgeliefert zu sein, meinen sie.
Sonja Zeiss-Wengler ist der Überzeugung, dass man jederzeit eine eigene Entscheidung treffen kann.
Einige unserer Interviewpartnerinnen berichten davon, wie sie zu einer guten Entscheidung gekommen sind. Manche sammeln alle Informationen und erstellen Listen, um für sich selbst klar zu bekommen, wo die Vor- und die Nachteile liegen.
Tova Goldblum schrieb eine positiv-negativ-Liste, um zu einer Entscheidung zu kommen.
Für fachliche Informationen waren für unsere Interviewpartnerinnen meist die behandelnden Mediziner*innen die ersten Ansprechpersonen. Manchen half es, ihre offenen Fragen vorher aufzuschreiben. Gudrun Altmann erzählt: „(…) ich hatte einen Block da zur Visite und da waren immer Fragen darauf und das wussten die auch und die fanden das auch gut, dass man sich erkundigte, die fanden das nicht lästig.“ Manche der Frauen heben es als Glücksfall hervor, Ärzt*innen privat zu kennen und damit eine vermittelnde Person zu haben, die sich im Gesundheitswesen auskennt und mit der Unsicherheiten geklärt werden konnten. Einige der Interviewpartnerinnen machten aber auch die Erfahrung, dass sie während der Behandlung von Fachärztin zu Facharzt gehen und keine ärztliche Vertrauensperson hatten, die alle Fäden in der Hand hält. Dies kann dann auch dazu führen, dass sie unterschiedliche oder auch widersprüchliche Meinungen hören.
Andrea Jesse schrieb sich alle Fragen auf und stellte diese beim nächsten Arztbesuch.
Marion Pfulding bekam widersprüchliche Informationen und wünscht sich eine feste Ansprechperson.
Viele unserer Interviewpartnerinnen holten sich eine Zweitmeinung ein, bevor sie sich für eine bestimmte Behandlung entschieden. Andere Frauen sehen darin keine Notwendigkeit und sind froh, wenn sie eine Ärztin oder ein Arzt an die Hand nimmt und ein stückweit führt.
Sabine Buck forderte das Recht ein, sich eine Zweitmeinung einzuholen.
Andrea Jesse sah keine Alternative und holte deshalb auch keine Zweitmeinung ein.
Sehr viele der Befragten nutzen Fachbücher und die Informationsbroschüren der Krebshilfe („Die blauen Ratgeber“) (Infos und Links), welche die Frauen durchweg als hilfreich einstuften. Auch im Internet wird viel recherchiert. Einige Erzählerinnen besuchen Vorträge und Kongresse oder verfolgen Fernsehsendungen zum Thema Brustkrebs. Vor allem in der Reha haben viele unserer Interviewpartnerinnen hilfreiche Informationen bekommen, z. B. durch Vorträge. Oft sind es auch die Partner oder andere nahestehende Personen, die sich kundig machen und Informationen zusammentragen. Manchmal seien jedoch Tipps von anderen nicht hilfreich oder nicht passend für die eigene persönliche Situation, berichten manche der Interviewpartnerinnen.
Jasmin Nussing ist genervt, dass Freund*innen ihr ungefragt Tipps aus dem Internet geben.
Wann der richtige Zeitpunkt ist, Informationen einzuholen, sehen unsere Interviewpartnerinnen unterschiedlich. Während manche während der Behandlung nichts über Krebs und Therapiemöglichkeiten lesen wollten oder konnten, war es für andere sehr wichtig, sich umfassend zu informieren. Einige der Erzählerinnen schauen sich bis heute keine Sendungen über Brustkrebs an, um schlechte Erinnerungen zu vermeiden. Einige Interviewpartnerinnen haben ihr Informationsverhalten bewusst differenziert gestaltet. So hatte Alina Schiller insbesondere zu Beginn der Erkrankung kein Interesse an medizinischen Aspekten, sondern wollte wissen, wie sie beruflich eingeschränkt ist und welche Einflüsse sie folglich im Alltag erwarten muss. Mit der Zeit hat sich die Einstellung bei einigen Interviewpartnerinnen gewandelt, indem sie sichere Quellen gefunden haben und ihr Wissen gewachsen ist.
Fast alle unserer Interviewpartnerinnen machen sich Gedanken darüber, welche Qualität Informationen haben und wann und wie sie das Internet nutzen wollen. Einer besonderen Bedeutung kommen dabei in der Beurteilung unserer Erzählerinnen Erfahrungsberichten anderer Betroffener zu. Einige lehnen Internet-Chats ab. Elke Ferch ist beispielsweise der Meinung, dass keiner wissen könne, was in der individuellen Situation helfe und dass viele verschiedene Ansichten „verrückt“ machen würden. Andere der Frauen finden Erfahrungsberichte dagegen hilfreich und Mut machend und suchen spezifische Foren im Internet auf. Ute Schuhmacher fasst für sich zusammen: ÄrztInnen hätten fachliches Wissen und Betroffene „gelebte Kompetenz“. Es gibt auch zwei Interviewpartnerinnen, die Apps von Stiftungen im Bereich Krebs nutzen, um sich sichere Informationen zu suchen. Hier besteht auch die Möglichkeit, sich ähnlich wie in Foren mit anderen Betroffenen auszutauschen. Silke Winter haben wiederum die Erfahrungsberichte im Internet wie auch ihre Ärzt*innen kein sicheres Wissen vermittelt.
Marion Pfulding mag keine Chats und besorgte sich Informationen über die Broschüren der Krebshilfe.
Aus Selbstschutz liest Monika Hechstein nichts im Internet. Betroffenenberichte verunsichern sie.
In Silke Winters Fall waren die Informationen aus dem Internet und von ihren Ärzt*innen fehlleitend.
Erfahrungsberichte im Internet zum Thema Kinderwunsch haben Miriam Sulz-Brecht Mut gemacht.
Manuela Weber nutzt Foren, wo sich Frauen mit Metastasen austauschen: Die wissen, worum es geht.
Einzelne unserer Interviewpartnerinnen schreiben selbst einen Blog im Internet oder veröffentlichten ein Buch über ihre Krankheitsgeschichte. Sie berichten, dass das Schreiben sie in der Verarbeitung der Erkrankung unterstütze, auch wollen sie mit ihren Erfahrungen anderen helfen und Mut machen. Das gegenseitige Mut machen ist auch denjenigen der Erzählerinnen wichtig, die das persönliche Gespräch unter Betroffenen suchen, zum Beispiel in Selbsthilfegruppen (Psychoonkologie, Psychotherapie, Selbsthilfe). Auch das ist ein Ort, wo Informationen gesucht und Entscheidungen ausgehandelt werden.
Heike Tschirner führt einen Blog, das Schreiben im Internet ist für sie Verarbeitungsstrategie.
Nicole Bissinger hat selbst ein Buch veröffentlicht, um anderen Betroffenen zu helfen.
Annette Huber liest ein Buch einer Betroffenen. Das hat ihr Mut gemacht.