Die Erfahrungen von Sonja Zeiss-Wengler

Portrait Sonja Zeiss-Wengler ist zum Zeitpunkt des Interviews 51 Jahre alt. Sie ist verheiratet und Mutter eines Sohnes. Ende 2006 erhielt sie die Diagnose Brustkrebs. Die Auseinandersetzung mit den Themen Schuld und Scham war für sie sehr wichtig.

Wegen einer Verhärtung in der Brust war Sonja Zeiss-Wengler zur regelmäßigen Kontrolle bei ihrer Gynäkologin. Diese bemerkte, dass etwas „anders“ war und überwies sie zur Mammographie. Eine Biopsie wurde empfohlen. Sonja Zeiss-Wengler holte sich zunächst eine Zweitmeinung in einem diagnostischen Brustzentrum ein. Eine Mammographie und Biopsie am selben Tag zeigten, dass es sich um linksseitigen Brustkrebs handelt. Die Brust wurde operativ abgenommen. Eine Chemotherapie und Hormontherapie folgten. Funktionalität sei ihr wichtiger als Ästhetik, sagt Sonja Zeiss-Wengler. Deshalb entschied sie sich gegen einen Brustaufbau.

Durch ihre berufliche Auseinandersetzung mit Krebserkrankten wusste Sonja Zeiss-Wengler, dass es jede treffen kann. Sie erzählt, dass sie sich dennoch die Frage stellte: „Warum ich?“. Sie sei in dem Schuld- und Schamthema verfangen gewesen. Obwohl sich um sie herum nicht viel veränderte, habe sich ihr Selbstgefühl gewandelt: Mit der Diagnose war das Gefühl weg von „Unversehrtheit“ und dass ihr nichts passieren könne. Wichtig war für sie, damit offensiv umzugehen: Sie informierte zum Beispiel Bekannte im Sportverein und Kindergarten und organisierte einen Frauenlauf für Brustkrebs, was zu einem öffentlichen Bekenntnis zu ihrer Erkrankung wurde. „Es war meine Art, diesen Gefühlen von Schuld und Scham etwas entgegen zu setzen“, meint Sonja Zeiss-Wengler.

Im Umgang mit ÄrztInnen habe sie einige Male um das Recht auf eine eigene Entscheidung kämpfen müssen. Sie hält diese für wichtige BegleiterInnen in der Erkrankung, wünsche sich jedoch, noch mehr über Konsequenzen und Möglichkeiten von Behandlungen aufgeklärt und in Therapieentscheidungen einbezogen zu werden. Sonja Zeiss-Wengler gründete eine Selbsthilfegruppe, auch mit dem Anliegen, die Arzt-Patienten-Kommunikation zu verbessern.

Durch die Unbefangenheit ihres damals vierjährigen Sohnes konnten sie und ihr Ehemann selbst ein Stück Gelöstheit erfahren. So erklärte sie ihrem Sohn, dass sie nun eine „Haarmütze“ tragen müsse. Auch auf die Ängste des Kindes um den möglichen Tod der Mutter reagierte sie offen, denn sie ist der Meinung, dass die Realität für Kinder leichter zu verarbeiten sei, als irgendwelche Fantasien. Ihr Sohn konnte sie immer wieder in das „Jetzt“ holen, besonders in den schlimmen Tagen der Chemotherapie. Dies sei ein unglaubliches Geschenk gewesen, erzählt Sonja Zeiss-Wengler.

Das Interview fand Mitte 2013 statt.

 

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