Die Erfahrungen von Sabine Busch
Sabine Busch ist zum Interviewzeitpunkt 50 Jahre alt und Mutter einer erwachsenen Tochter und eines 12-jährigen Sohnes mit einer ADHS-Diagnose. Dieser war schon immer sehr aktiv, aufgeweckt, aber auch anstrengend. Doch erst in der Schule wurde sein Verhalten als problematisch empfunden. Frau Busch hat einer Veröffentlichung ihres Interviews in der Textversion zugestimmt.
Soweit sich Sabine Busch erinnern kann, war ihr Sohn schon immer ein bisschen „anders“ als andere Kinder. Er ist sehr lebhaft, aufgeschlossen, redet viel und ist meist fröhlich. Gleichzeitig ist seine Entwicklung verzögert. Er schafft vieles noch nicht, was andere in seinem Alter schon können. Dabei ist er „pfiffig“ und an vielem interessiert. Nur durch die ADHS bekam er schon in der Grundschule einfach nichts mit – trotz einer kleinen Klasse.
Den ersten Verdacht, dass etwas „nicht stimmt“, hatte Sabine Busch schon, als ihr Sohn zwei Jahre alt war. Er war sehr anstrengend und etwas entwicklungsverzögert. Der Kinderarzt beruhigte sie immer wieder, die Befunde seien nicht weiter schlimm. Aus einem Familienurlaub kehrte Frau Busch „fix und fertig“ zurück. Ihr Sohn war so „furchtbar aktiv“, dass sie selbst kaum zur Ruhe kam. Sie suchte das Gespräch mit seinen Erzieherinnen im Kindergarten. Sie bestätigten ihr, dass der Junge sehr unruhig sei. Dies falle in einer großen Gruppe mit offenem Konzept aber kaum auf. Da er ein ‚Kann‘-Kind ist, beschlossen die Eltern ihn ein Jahr später einzuschulen. Bei der Schuleingangsuntersuchung empfahlen die Ärzte, ein weiteres Jahr bis zur Einschulung zu warten. Der Junge hätte große Defizite und sei noch nicht schulfähig. Sie fragten die Eltern, wie diese Defizite seinem Kinderarzt so lange entgehen konnten.
Zusammen mit der Grundschullehrerin beschließen die Eltern, kein weiteres Jahr zu warten und ihn dennoch einzuschulen. Zusätzlich besucht Sabine Buschs Sohn zweimal wöchentlich logopädische und ergotherapeutische Therapien. Nach kurzer Zeit gerät er mit dem Schulstoff in Verzug, bekommt kaum noch etwas mit und hat Angst, in den Unterricht zu gehen. Er weint regelmäßig. Die Lehrerin empfiehlt den Wechsel auf eine Sprachheilschule mit sonderpädagogischen Förderbedarf. Die Eltern reagieren zunächst skeptisch: „Eine Sonderschule? - Unser Sohn ist doch, weiß Gott, nicht dumm“. Sie zögern den Schulwechsel hinaus, bis ihnen die Schulbehörde in einem Brief unmissverständlich mitteilt, dass ein Schulwechsel unumgänglich sei. Nach zwei Jahren in der normalen Grundschule wechselt ihr Sohn die Schule und kommt in eine spezielle Sprach-Förderklasse. Unter den anderen Kindern mit Handicaps fühlt er sich von Anfang an sehr wohl und wird sofort integriert. Seine neue Klassenlehrerin ist sehr engagiert. Zum ersten Mal beginnt er, gerne in die Schule zu gehen.
Nach dem Schulwechsel folgen die Buschs dem Rat einer Kinderpsychologin, das Kind medikamentös zu behandeln. Die Entscheidung hat sich Frau Busch nicht leichtgemacht. Sie hatte anfangs Schuldgefühle, wollte kein „Gehirndoping“ für ihren Sohn und überlegte bei jeder Tablette, ob sie wirklich notwendig sei. Hier halfen ihr vor allem die Treffen in einer Selbsthilfegruppe. Die Tabletten nimmt ihr Sohn immer noch, aber nur an den Schultagen und nur vormittags. Die gute schulische Entwicklung bestärkte sie in ihrer Entscheidung. Am Ende der Förderschule erhielt ihr Sohn eine Hauptschulempfehlung. Er wechselte dennoch auf eine weiterführende Schule mit Realschulzweig. Nun hat ihnen seine Lehrerin sogar bestätigt, dass er auch aufs Gymnasium wechseln könne.
Dennoch hat Frau Busch öfters das Gefühl, dass die Themen Ritalin und AD(H)S tabuisiert sind. Eltern, die ihren Kindern Medikamente geben, gelten als faul, da sie ihr Kind nur ruhigstellen wollen. Zugleich werden sie manchmal auch als ehrgeizig attackiert, da sie von ihren Kindern besondere schulische Leistungen verlangen und nicht primär auf das Kindeswohl achten würden. Daher überlegt Frau Busch sehr genau, ob und mit wem sie über die Medikamente ihres Sohnes spricht. Manchmal fühlt sich in ihrer Situation allein gelassen. Im Gegensatz zu Krankheiten wie „Zucker“, könne man kaum mit jemanden verständnisvoll über AD(H)S und Ritalin sprechen.
Das Interview wurde 18.02.2014 geführt.