Die Erfahrungen von Ingo Wick
Ingo Wick ist zum Interviewzeitpunkt 37 Jahre alt. Er ist Vater von zwei Söhnen. Bei beiden wurde, wie auch bei ihm selbst, ADHS diagnostiziert. Zusammen mit seiner Freundin kümmert er sich in Vollzeit um die beiden Jungen. Herr Wick hat einer Veröffentlichung seines Interviews in der Videoversion zugestimmt.
Als Ingo Wick noch ein kleiner Junge war, wurde seine „Besonderheit“, wie er ADHS selbst bezeichnet, nicht als behandlungsbedürftig angesehen. Seine Eltern gingen davon aus, dass sei reine Erziehungssache, und griffen hart durch. Dieses Schicksal will Herr Wick seinen eigenen beiden Söhnen ersparen. So hat er sich vorgenommen, sie niemals zu schlagen. Bis die beiden in die Schule kamen, hatten Ingo Wick und seine Freundin keinen Verdacht auf ADHS. Die Jungs waren halt sehr temperamentvoll und bewegungsfreudig.
Der Ältere war von Geburt an ein „Schreikind“, später im Kindergarten tobte er den ganzen Tag draußen und war einfach nicht müde zu bekommen. Doch erst mit der Einschulung wurde sein Verhalten zum Problem. Es fiel ihm schwer, still zu sitzen und sich zu konzentrieren. Seine Klassenlehrerin riet den Eltern, ihn untersuchen zu lassen. Daher gingen sie mit ihrem Sohn in eine auf AD(H)S spezialisierte Kinder- und Jugendarztpraxis.
Bis alle Untersuchungen abgeschlossen waren, dauerte es über ein halbes Jahr. Familie Wick probierte zuerst verschiedene nicht-medikamentöse Behandlungen aus, doch es trat keine Besserung ein. Daher beschlossen sie, es doch mit Medikamenten zu versuchen. Anfangs gaben sie ihrem Sohn die Tabletten nur am Morgen, damit er sich in der Schule besser konzentrieren konnte. Mit den Medikamenten besserte sich seine Situation schlagartig. Er brachte nicht nur bessere schulische Leistungen nach Hause, sondern wurde auch öfters von anderen Kindern eingeladen.
Der ältere Sohn ist zum Interviewzeitpunkt fast elf Jahre alt und besucht derzeit die fünfte Klasse einer Gesamtschule. Auf eigenen Wunsch nimmt er nun die Medikamente selbständig – auch am Nachmittag – ein, um in der Schule keinen „Rebound“ zu erleben. In seiner Freizeit spielt er Fußball in der Kreisauswahl.
Der jüngere Sohn ist derzeit in der dritten Klasse und nach Aussage von Herrn Wick ganz anders als sein Bruder. Auch bei ihm wurde bis zur Einschulung nicht vermutet, dass er von ADHS betroffen ist, weder von seinen Eltern, noch von seinen Erzieherinnen. Wie auch sein großer Bruder hat er einen überdurchschnittlich hohen Intelligenzquotienten und wurde als „Kann-Kind“ früher eingeschult. Auch bei ihm wies seine Klassenlehrerin die Eltern auf Defizite bei der Aufmerksamkeit hin. Die Eltern ließen ihn daraufhin sorgfältig testen und schließlich medikamentös behandeln. Doch auch mit den Medikamenten herrscht im Hause manchmal das pure Chaos, wie der Ingo Wick lachend zugibt. Er und seine Freundin kümmern sich derzeit in Vollzeit um ihre Kinder und auf Grund des hohen Pflegeaufwandes erhalten sie dafür sogar einen finanziellen Ausgleich. Über die Krankenkasse haben sie eine Pflegestufe beantragt und erhalten nun Zuschüsse, etwa für die notwendigen Fahrten und neue Materialien. Die Wicks sind sehr aktiv mit ihren Kindern und toben viel draußen. Ingo Wick hat jedoch gemerkt, dass dies als alleinige Maßnahme nicht hilft. Immer wieder sieht er sich mit Vorurteilen konfrontiert: Seine Söhne hätten eine „erfundene Krankheit“, sie wären schlecht erzogen oder würden den ganzen Tag nur Fernsehen. Für Herrn Wick ist das „totaler Quatsch“.
Das Interview wurde 22.01.2015 geführt.