Die Erfahrungen von Henning Speidel
Herr Speidel ist zum Interviewzeitpunkt 45 Jahre alt und Vater einer kleinen Tochter mit einer ADHS-Diagnose. Sie nimmt keine Medikamente und kommt bis jetzt gut in der Schule zurecht. Beide Elternteile kümmern sich sehr um ihre Tochter und versuchen sie zu unterstützen, wo sie nur können. Herr Speidel hat einer Veröffentlichung seines Interviews in der Audioversion zugestimmt.
Henning Speidel und seine Frau sind Eltern einer siebenjährigen Tochter mit ADHS, die jetzt in die zweite Klasse geht. Der erste Verdacht eines Problems bzw. die ersten Auffälligkeiten kamen im Kindergarten, mit vier, fünf Jahren. Es waren vor allem kommunikative Probleme. Zugleich bemerkten die Eltern die große Begabung und die vielseitigen Interessen ihrer Tochter.
In der Rückschau ist der Vater mit der Betreuung im Kindergarten zufrieden. Bei Streitereien und Problemen kümmerte man sich immer um Ausgleich. Die Tochter empfand das aber manchmal doch als Ablehnung, sodass die Eltern regelmäßig intervenierten. Ein Spielplatzunfall hatte einen Beinbruch zu Folge. Ein ganzes Jahr konnte die Tochter den Kindergarten nicht besuchen.
Danach haben sich Herr Speidel und seine Frau entschlossen, ihre Tochter testen zu lassen. Eine ärztliche Abklärung hat den Verdacht auf ADHS bestätigt. Insbesondere die Diagnostik in der Kinderkardiologie, mit EKG und EEG war allerdings sehr zeitraubend und anstrengend. Die Eltern hatten sich gegen die Einnahme von Medikamenten entschieden und haben sich vorgenommen, mehr ihrer Tochter zur Seite zu stehen.
Inzwischen übernimmt der Vater sehr stark die Verantwortung in der Schule. Er spricht häufig mit den Lehrkräften, bittet die Tochter, immer rechtzeitig auf Probleme hinzuweisen. Er hilft ihr bei der Strukturierung des Tages oder zukünftigen Aufgaben. Dabei ist es für ihn nicht wichtig, dass sie „das Optimum aus sich rausholt“, sondern „sich mit dem, was sie an Möglichkeiten hat, ein optimales Leben ermöglicht“. Er weiß, dass es Dinge gibt, die für sie nicht machbar sind. Genau deshalb sei es so wichtig, dass man Strukturen einübt und erkennt, was hilft und was behindert.
Weil beide Eltern ebenfalls von ADHS seit ihrer Kindheit betroffen sind, was damals aber noch nicht erkannt wurde, können sie sich so gut in ihre Tochter einfühlen. Henning Speidel beschreibt sich und seine Frau als zum Teil sehr aggressiv, wenn das mittlerweile auch – durch entsprechende Strukturen und Mechanismen – kaum noch auffällt. Das sichert beiden ein gutes Berufsleben.
Nicht immer gelingt es den Eltern, auf die Probleme ihrer Tochter rechtzeitig einzugehen. Zum Beispiel im Fall einer Neurodermitis, eine aus Sicht des Vaters häufige Begleiterkrankung bei ADHS. Typischerweise spricht das Mädchen zu spät darüber oder vergisst sich, nach dem Baden einzucremen. Und wenn sie es dann tut, fällt sie auch wieder als etwas Besonderes in ihrer Gruppe auf.
In der Schule ist ein wichtiges Thema, ob die Tochter eventuell eine Klasse überspringt. Oft langweilt sie sich im Unterricht und ist dem Stoff weit voraus, zugleich aber kann sie bestimmte Aufgaben nicht gut erledigen. Sie ist mittlerweile auf einem hohen sprachlichen Level angekommen, der sie wiederum manchmal zur Außenseiterin macht. Wenn sie sich einmal langweilt, hat sie mit dem Lehrer mittlerweile ein Zeichen vereinbart. So weiß er, dass sie nicht abgelenkt ist, sondern dem Stoff schon voraus ist und deshalb manchmal „wegträumert“.
Ein großes Thema sind immer noch „Medikamente“. Für den Vater sind sie eher eine „Einstiegshilfe“ und keine „strukturierende Methode“. Er möchte gern der Tochter die Entscheidung überlassen, wenn sie eine Eskalation der Situation befürchtet. Viel wichtiger war aber die richtige Diagnosestellung, selbst wenn es dadurch manchmal zum Mobbing kommt. Man weiß aber jetzt, worauf man sich einzustellen hat und was man tun muss.
Das Interview wurde 24.09.2014 geführt.