Die Erfahrungen von Lothar Winkler
Lothar Winkler war zum Zeitpunkt des Interviews im Mai 2022 in seinen Fünfzigern und lebte mit seiner Frau in einem Haus in einer ländlichen Gegend. Er war als Leiter in einer öffentlichen kulturellen Einrichtung tätig. Im Dezember 2020 bemerkte er leichte Erkältungssymptome wie Kopfschmerzen und Fieber, als er positiv auf das Coronavirus SARS-CoV-2 getestet wurde. Er beschrieb seinen Verlauf als mild und erlebte Nieren- und Gliederschmerzen sowie Schüttelfrost. Später erlebte er noch Schwierigkeiten mit seiner Kondition, Schlafprobleme, Herzrhythmusstörungen, Kurzatmigkeit, Konzentrationsstörungen und Vergesslichkeit. Sein seelischer Zustand verschlechterte sich ebenfalls. 2021 ließ er sich zweimal mit einem Corona-Impfstoff impfen.
Lothar Winkler entwickelte Anfang Dezember 2020 leichte Erkältungssymptome wie Kopfschmerzen. Etwa zwei Tage später bekam er Fieber und ließ sich im Testzentrum seines Hausarztes per PCR-Abstrich testen. Er und seine Ehefrau isolierten sich daraufhin in ihrem Haus mit Garten. Einen Tag später bekam er einen Anruf von einem Bundeswehrsoldaten, der in dieser Zeit für das Gesundheitsamt tätig war und ihm das positive Ergebnis mitteilte. Dies war für ihn ein Schock. Er hatte Angst davor, dass sich die Infektion eventuell auf die Lunge ausbreiten könne. Der Mitarbeiter des Gesundheitsamts versuchte, Lothar Winkler in diesem Telefonat zu beruhigen. Rückblickend beschrieb er seinen Verlauf der Erkrankung als mild. Lothar Winkler erlebte noch moderates Fieber, Nieren- und Gliederschmerzen sowie Schüttelfrost. Er schonte sich und ruhte sich aus. Nach etwa einer Woche ging es ihm besser, er fühlte sich aber noch müde und schlapp. In dieser Zeit hörte er von anderen Betroffenen, die nach zehn Tagen und scheinbarer Genesung noch ins Krankenhaus mussten. Dies verunsicherte ihn und er hatte Angst, dass ihm dies ebenfalls passieren könnte. Während der zweiwöchigen Isolation infizierte sich auch seine Ehefrau, deren Verlauf noch milder war.
Im Januar 2021 begann Lothar Winkler wieder zu arbeiten. Er saß apathisch an seinem Schreibtisch und konnte auf Fragen seiner Kolleg*innen nicht reagieren. Daher wurde er von seiner Hausärztin vier Wochen krankgeschrieben. In dieser Zeit versuchte er, sich viel zu bewegen, bemerkte aber schnell, dass seine Kondition nicht mehr wie vor der Erkrankung war. Daher war er froh und zufrieden, wenn er auch nur kurze Strecken gehen konnte. Lothar Winkler half Kolleg*innen beim Schneeräumen, was ihm sogar sehr viel Spaß machte, saß er doch normalerweise viele Stunden am Tag an Schreibtisch. Nach ein paar Wochen ging es ihm wieder schlechter. Lothar Winkler beschrieb, wie er Probleme mit dem Herzen bekam und mit Verdacht auf einen Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Dies konnte vor Ort nicht bestätigt werden, es wurde aber ein massiver Links-Schenkelblock im Herzen festgestellt. Lothar Winkler sagte, dass die Ärzt*innen einen Zusammenhang mit der COVID-Erkrankung vermuteten. Er war schockiert und informierte sich darauf im Internet und Fernsehen. Dort stieß er auf erste Berichte und Information zu Langzeitfolgen von COVID-19. Da es ihm zu diesem Zeitpunkt physisch und psychisch schlecht ging, wandte er sich an eine Long-COVID-Ambulanz in einer Universitätsklinik und bekam dort innerhalb kürzester Zeit einen Termin. Dort wurde er auf den Kopf gestellt, aber man konnte nichts Organisches feststellen. Dies war für Lothar Winkler enttäuschend, hatte er doch auf schnelle Heilung gehofft. In der Long-COVID-Ambulanz empfahl man ihm, sich an den Hausarzt zu wenden und eine Reha zu beantragen. Dies tat Lothar Winkler, obwohl ihn die Beantragung viel Kraft kostete.
Im Frühsommer 2021 begann er eine Reha in einer Klinik, die bereits Erfahrungen mit COVID-19 hatte.
Dort fühlte er sich wohl, da er unter ärztlicher Beobachtung Sport-Therapien bekam, die seinen Zustand verbesserten. Lothar Winkler hatte in den letzten Monaten auch viel abgenommen und dies verunsicherte ihn sehr. In der Reha konnte er sich mit anderen Betroffenen über seine Erfahrungen, Sorgen und Ängste austauschen und das half ihm sehr. Er genoss die Zeit in der Reha und nach sechs Wochen fühlte er sich auch wieder besser.
Nach der Reha hoffte Lothar Winkler sehr, mit einer Wiedereingliederungsmaßnahme in das Arbeitsleben zurückfinden. Er bemerkte aber, dass die Wirkung der Reha schnell nachließ und so musste er die Wiedereingliederungsmaßnahme vor Weihnachten 2021 wieder abbrechen. Zwischenzeitlich war er auch nochmal in der Post-COVID-Ambulanz vorstellig geworden, da er nicht schlafen konnte und keine Ruhe fand. Dies zermürbte ihn. Im Januar 2022 nahm er die Wiedereingliederungsmaßnahme wieder auf, bekam Herzrhythmusstörungen und bemerkte wieder eine Kurzatmigkeit bei Belastung. Auch verschlechterte sich sein seelischer Zustand, sodass er die Wiedereingliederungsmaßnahme beendete.
Zum Zeitpunkt des Interviews im Mai 2022 beschrieb Lothar Winkler seinen körperlichen und seelischen Zustand als sehr wechselhaft und nicht vorhersehbar. Seit Beginn der Erkrankung im Jahr 2020 fühlte er sich schneller gealtert, konnte sich nicht mehr gut konzentrieren und vergaß viel. Nicht zu wissen, was seine Symptome auslöste und wie seine Zukunft aussah, belastete ihn stark und machte ihm Angst. Ihm halfen dabei vor allem Yoga und Atemübungen. Lothar Winkler versuchte in langsamen Schritten wieder fit zu werden. Auch war ihm die Selbsthilfegruppe, die er selbst gegründet hatte, eine große Unterstützung in der Zeit seiner Erkrankung. Er begann auch wieder zu zeichnen, dies entspannte ihn ebenso wie Waldspaziergänge.