Sinnsuche und Konfrontation mit der Endlichkeit

Neben all den Belastungen und dem Leid, das unsere Interviewpartner*innen erfuhren, berichten einige, dass sie in ihrer Krankheitsgeschichte auch nach einer Art Sinn suchten und teilweise nach dem Durchstehen der vielen Krisen gestärkt aus ihnen hervorgegangen seien. Viele erzählen, dass sie auch viel Positives erlebt oder versucht hätten, ihren Blick auf die positiven Dinge zu lenken. Dabei machten einige die Erfahrung, dass nur sie selbst nach solchen positiven Aspekten suchen konnten, sie es aber anmaßend und beleidigend fanden, wenn nicht betroffene Menschen sie dazu aufforderten, in der Krankheit einen Sinn zu sehen.

Lisa Roth erfuhr, dass der Krebs nicht nur ein Ende, sondern auch ein Neubeginn sein kann.

Clara Ott findet, dass ihr Leben durch die vielen Kontakte reicher geworden ist.

Wilfried Schönfeld führt nach der Krankheit ein sinnvolleres Leben, sieht jedoch keinen Sinn in der Krankheit.

Für einige führte die Erfahrung, dem möglichen Tod ins Auge zu blicken, zu einer veränderten Lebenseinstellung.

Weil Sonja Novotny vor Augen geführt bekam, dass ihr Leben schnell vorbei sein könnte, lebt sie anders als davor.

Viele unserer Erzähler*innen beschreiben, dass ihnen „im Kopf“ immer schon bewusst gewesen sei, dass das Leben endlich ist, dass aber erst die Erfahrung am eigenen Leibe dazu führte, ihr Leben auf eine neue Weise zu betrachten.

Petra Markert verdrängte die Endlichkeit immer wieder, will aber jetzt noch möglichst viel Gutes erleben.

In der Auseinandersetzung mit dem Sterben war es einigen wichtig, Vorsorge zu treffen. Manche taten dies praktisch, indem sie sich damit auseinandersetzten, wie sie sterben wollten und dies in einer Patientenverfügung festhielten. Für den Fall, dass sie selbst irgendwann nicht mehr entscheiden könnten, erstellten einige eine Vorsorgevollmacht. Viele zogen Bilanz über ihr bisheriges Leben, planten ihre Beerdigung, schrieben Abschiedsbriefe und regelten wichtige finanzielle Angelegenheiten für ihre Familien.

Norbert Wagner machte sich über seinen Tod viele Gedanken und musste dafür eine Party ausrichten.

Lisa Roth erledigte die Dinge, die ihr besonders wichtig waren und sieht die restliche Zeit als Geschenk.

Jan Holgersson machte bei Krankheitsbeginn sein Testament und ist so zufrieden wie nie zuvor mit seinem Leben.

Für Maria Rich ist der größte Gewinn an ihrer Krankheit, dass sie entspannter und ruhiger wurde.

Emil Groh denkt: Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt zu Ende ist, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen setzen.

Manche beschreiben, dass sie aufgrund der Erfahrungen mit der Erkrankung bewusster lebten, ihr Leben bewusster gestalteten, Dinge angingen, die sie schon lange vor sich hergeschoben hätten oder auch Aussprachen suchten mit Menschen, die ihnen wichtig waren. Viele beschreiben, dass sie die „kleinen Dinge“ des Lebens gelassener sehen und heute mehr unterscheiden, was ihnen wichtig ist und für was es sich lohnt, sich einzusetzen oder sich zu ärgern. Die Frage, ob sie vor dem Hintergrund, dass sie eine schlechte Prognose haben, Kinder bekommen möchten, war besonders für unsere jüngeren Erzähler*innen, nicht leicht zu klären (siehe „Kinderwunsch“).

Jan Holgersson sieht die positiven Erkenntnisse aus der Krankheit darin, bewusster und zufriedener zu leben.

Für Gunther Kraft ist der Krebs weder Freund noch Feind, aber ein Begleiter im Leben.

Klaus Wippich lebt möglichst normal, erledigt Dinge aber lieber gleich, statt sie aufzuschieben.

Andere erzählen, dass sie der Krebs zwar erschütterte, nicht jedoch so sehr, dass bei Ihnen Gedanken an den Tod gekommen seien. Einige beschreiben, wie sie diesen Gedanken verdrängten, um noch während der langen Zeit der Unsicherheit und der anstrengenden Therapien überhaupt handlungsfähig zu bleiben.

Wieder andere bemerkten, wie ihre Umwelt Berührungsängste mit dem Thema Tod und Sterben hatte.

Wilfried Schönfeld erlebte es zwiespältig, wenn er merkte, dass andere mit seinem baldigen Tod rechneten.