Auswirkungen auf die Familie und den Freundeskreis

Viele unserer Interviewpartner*innen erzählen, wie sehr sie von ihrer Familie unterstützt wurden, sowohl in praktischen Hilfen (wie Fahrten zu den Ärzt*innen, Haushalt, Kinderversorgung, Behördengänge) als auch emotional. Für diejenigen, bei denen die Familien weit weg wohnten oder kein Kontakt bestand, war es sehr schwer, auf sich alleine gestellt zu sein. Einige unserer Erzähler*innen erlebten auch, dass durch ein so tiefgreifendes Ereignis wie die Krebserkrankung die Familie näher zusammen rückte.

Petra Thomas Familie ist immer an ihrer Seite, auch während der vielen Krankenhausaufenthalte.

Lorenz Kraus betont, wie wichtig die Unterstützung seiner Familie für ihn war.

Für einige unserer Erzähler*innen gab die Familie auch Halt und Lebensmut, sich nicht aufzugeben, auch wenn es ihnen manchmal schwer fiel.

Margarete Reichle baut es auf, Zeit mit ihrem Enkel zu verbringen.

Belastungen für die Familie

Es ist mittlerweile erwiesen, dass Angehörige von Krebspatient*innen oft einer enormen psychischen Belastung ausgesetzt sind. So berichten auch unsere Interviewpartner*innen, dass bei ihnen die Partner*innen (siehe „Partnerschaft und Sexualleben“) und die Familien einem hohen Druck Stand halten mussten. Manchmal führte dies dazu, dass sich die Familienmitglieder gegenseitig schonen wollten und nur noch wenig miteinander sprachen.

Wilfried Schönfelds Familie litt sehr unter der Unsicherheit, entschied aber, die gemeinsame Zeit zu schätzen.

Norbert Wagners Familie war verzweifelt, versuchte aber eine positive Haltung aufrecht zu erhalten.

Dass Leon Gerspachers Mutter auch an Darmkrebs erkrankte, stellte die Familie vor große Herausforderungen.

Auch für die Eltern der Erkrankten war die Situation nur schwer auszuhalten. Manche unserer Erzähler*innen berichten, dass ihre Eltern sich liebevoll und aufopfernd um sie kümmerten und wie froh sie darüber waren. Andere berichten auch, dass ihnen die Sorge der Eltern manchmal zu viel wurde.

Kinder

Besonders, wenn die Kinder noch im Kindes- und Jugendalter sind, ist die Krebserkrankung der Eltern für sie häufig eine sehr belastende Konfrontation mit Unsicherheit, Angst, Schuldgefühlen und offenen Fragen. Daher ist es wichtig, sie einzubeziehen und mit ihnen zu sprechen (siehe https://www.krebsinformationsdienst.de/leben/krankheitsverarbeitung/kindern-krebs-erklaeren.php).

Dies war für unsere Interviewpartner*innen häufig nicht einfach. Manche Kinder zogen sich zurück oder wollten nicht über die Erkrankung sprechen. Bei manchen Erzähler*innen waren Gespräche innerhalb der Familie nur schwer möglich, weil die Betroffenen selbst ihre Krankheit lieber verdrängten und nicht über ihre Ängste sprechen wollten. Auch kam es vor, dass Kinder in der Krankheitsphase viele Aufgaben im Haushalt mitübernahmen, viel alleine sein mussten und sehr ernst und zurückgezogen wurden. Einigen Interviewpartner*innen war es auch wichtig, die Schule oder den Kindergarten zu informieren, dass sie krank waren, damit dort besser verstanden und eingeschätzt werden konnte, wenn die Kinder sich vielleicht anders verhielten als sonst.

Lisa Roths Familie war sehr alleine gelassen; ihre Tochter war traumatisiert von dem Schock der Diagnose.

Maria Richs Kindern fiel es schwer, über ihre Ängste zu reden und sie versuchten, die Mutter zu entlasten.

Gunther Krafts Söhne wollten nicht wahrhaben, einen hilflosen Vater zu haben.

Für unsere Interviewpartner*innen, die sich in der Zeit der Krebserkrankung und der anstrengenden Therapien noch um kleine Kinder kümmern mussten, war es eine besonders anstrengende Zeit. Neben den existenziellen Ängsten war es häufig schwer, zu organisieren, dass die Kinder gut versorgt werden konnten. Hierbei waren einige unserer Erzählerinnen dankbar für die Hilfe und Unterstützung, die sie im Freundes- und Bekanntenkreis erfuhren oder waren froh, dass externe Hilfe für sie organisiert wurde.

Weil Sarah Lemke ihren einjährigen Sohn nicht versorgen konnte, war sie dankbar um eine Familienhelferin.

Familiäre Vorbelastung

Vielen unserer Interviewpartner*innen, die mit einer erblichen Form von Darmkrebs konfrontiert waren, ist es wichtig, mit ihren Familien darüber zu sprechen und sie aufzuklären. Während beim Lynch-Syndrom oder HNPCC die Vorsorge enorm wichtig ist (siehe auch „Darmspiegelung“ und „Untersuchungen“), ist es bei der Familiären adenomatösen Polyposis (FAP) wichtig, schon früh den Dickdarm operativ zu entfernen. Hier ist es meist die schwere Aufgabe der Eltern, die Kinder testen zu lassen und zu informieren. Auch die Geschwisterbeziehungen können sehr belastet sein, wenn ein Kind die FAP erbte und das andere gesund ist. Bei Jutta Groß war über eine lange Zeit der Umgang mit ihrem Sohn, der die FAP geerbt hatte, sehr schwierig.

Jutta Groß' Sohn erbte die FAP und zog sich von seiner Mutter zurück.

Sprechen über die Krankheit und Reaktionen der Familie

Die Krebserkrankung bringt für alle Familienmitglieder immer wieder große Sorgen mit sich. Einige unserer Interviewpartner*innen berichten, dass es für ihre erwachsenen Kinder schwer war, nichts tun zu können oder nicht über das Befinden der Betroffenen informiert zu werden. Wieder anderen ging das Thema zu nahe. Sie grenzten sich ab und zogen sich zurück, manchmal zum Leidwesen der Interviewpartner*innen. Besonders, wenn bereits ein Familienmitglied an Krebs verstorben war, war es für die Angehörigen manchmal kaum auszuhalten, mit der Situation und den aufkommenden Ängsten ein weiteres Mal konfrontiert zu sein. Für diejenigen Erzähler*innen, bei denen klar war, dass sie bald sterben würden, war es besonders schwer, mit ihren Angehörigen darüber zu sprechen (siehe auch „Sinnsuche und Konfrontation mit der Endlichkeit“).

Für manche Interviewpartner*innen war es schwer zu äußern, was sie sich von ihrer Familie wünschten. Aus Besorgnis und Fürsorge lehnten sie manchmal Hilfe ab, obwohl sie sich diese sehr gewünscht hätten. Andere waren froh, wenn sie auch einmal für sich alleine sein konnten und die Familienangehörigen sie gelegentlich in Ruhe ließen. Einige erzählten, dass es für ihre Angehörigen oft schwer war, sich darauf einzustellen, dass ihre Bedürfnisse nach Nähe und Abstand manchmal schwankten (siehe auch „Psychische Belastungen“).

Iris Niebling wollte nicht, dass ihre Tochter sich zu große Sorgen machte.

Insbesondere wenn es um die Enkelkinder ging, berichten einige unserer Interviewpartner*innen, dass sie sie nicht damit belasten und lieber nicht so viel über Krankheiten sprechen wollten, um den Kindern zum einen die Unbeschwertheit nicht zu nehmen und zum anderen auch selbst nicht immer mit der Krankheit konfrontiert zu sein.

Clara Ott möchte, dass es lustig in der Familie zugeht und redet nicht oft über ihre Krankheit.

Freund*innen

Auch für das soziale Umfeld, wie zum Beispiel für Freund*innen, ist es oft nicht leicht, mit der Krebserkrankung angemessen umzugehen, sich nicht zurückzuziehen, aber auch sich nicht aufzudrängen (siehe auch https://www.krebsinformationsdienst.de/leben/krankheitsverarbeitung/angehoerige.php).

Unsere Interviewpartner*innen erlebten von einigen Freund*innen sehr viel Unterstützung und Verständnis. Andere machten aber auch die Erfahrung, dass Freund*innen und Bekannte sich abwendeten und den Kontakt abbrachen. Eine Interviewpartnerin berichtet, dass einige Kontakte schwer und schuldbeladen wurden, wenn in ihrem Freundeskreis jemand auch von Krebs betroffen war.

Einige unserer Erzähler*innen schildern, dass sie mit der Krebserkrankung erlebten, wer ihre „wahren“ Freund*innen waren und zu ihnen standen. So wurden manche Freundschaften umso enger durch die Zeit der Begleitung und Unterstützung.

Manche Kolleg*innen unterstützten Henriette Schiller, wie sie konnten, andere zogen sich zurück.

Oft erlebten unsere Interviewpartner*innen eine große Unsicherheit seitens ihrer Umwelt, mit der sie sich häufig auch Verhaltensweisen wie Rückzug oder Sprachlosigkeit erklärten. Manche Erzähler*innen waren irritiert, dass ihnen plötzlich viele im Bekanntenkreis von eigenen schlimmen Erkrankungen erzählten. Sie versuchten sich das so zu erklären, dass die Bekannten ihnen nicht Angst machen wollten, sondern dass sie ihre Solidarität und ihr Verständnis auf diese – manchmal als unglücklich erlebte – Weise ausdrückten.

Einige unserer Interviewpartner*innen waren selbst verunsichert, wie sie mit ihren Informationen im Freundes- und Bekanntenkreis umgehen sollten. Manche berichten, dass sie eine Art „Informationspolitik“ hatten, wem sie von ihrer Krankheit erzählten und wem nicht. Andere betonen, dass es ihnen wichtig sei, immer offen mit ihrer Erkrankung umzugehen und niemandem etwas zu verheimlichen. Einige informierten Freunde und Familie per Post oder per Mail über den Krankheitsstand, um Gerüchte zu vermeiden und offene Fragen zu beantworten, von denen sie dachten, sie würden vielleicht nicht gestellt werden und machten damit hauptsächlich gute Erfahrungen. Ein Interviewpartner hatte in diesem Rahmen gewissermaßen eine Institution der Informationsweitergabe, indem er zwei enge Freunde informierte, die im nächsten Schritt sein weiteres soziales Umfeld in Kenntnis setzten.

Lotte Buchs brachte den Mut auf und zeigte ihren Freundinnen ihr Stoma um Fragen zu beantworten.

Jan Holgersson ging offen mit seiner Erkrankung um, um Geschwätz zu vermeiden.

Richard Linde fand es hilfreich für die Seele, nichts zu verheimlichen und war deshalb nicht alleine.