Für Nicole Bissinger war es das Schlimmste neben der Krankheit, dass sie angebliche Freund*innen verloren hat.

Das Schlimmste war, dass ich angebliche Freunde verloren habe, die sich wirklich gar nicht um mich gekümmert haben. Das war eigentlich das Schlimmste. Neben der Krankheit natürlich, ist ja klar, weil die Krankheit war ja eigentlich das Schlimmste. Aber dass ich verlassen worden bin, das war für mich ganz arg schlimm und das hat man von einigen gehört, also dass so etwas passiert.

Und das heißt konkret? Die haben sich nicht mehr gemeldet?

Nicht mehr gemeldet. Also zum Beispiel eine Freundin, die hat mich an meinem Geburtstag, an dem Tag bin ich ja ins Krankenhaus, wo der da mit seinem neuen Ultraschallgerät meine Brust untersucht hat und ich habe da einfach keinen Kopf gehabt, an das Telefon zu gehen, weil ich habe so Angst gehabt, dass ich Krebs habe und was weiß ich was. Und die hat zwei Mal angerufen und hat mir gratuliert und zwei Mal gratuliert quasi und dann hat sie mich am nächsten Tag noch einmal angerufen und hat nachträglich gratuliert, also es war ihr so wichtig und dann sage ich: "Du pass auf, ich habe gestern nicht an das Telefon können, weil man vermutet, dass ich Brustkrebs habe", und seitdem habe ich nie mehr etwas von der gehört. Nie mehr, bis heute nicht. Und das ist natürlich etwas, was gar nicht geht. Und, ich meine, ich habe dann in der Reha mit dem Psychologen gesprochen, (…) der hat dann gesagt, er hat viele Freunde, die in richtigen guten Jobs sind, also auch in leitenden Jobs und so. Und er sagt, die fahren teilweise Umwege, nur um das Schild 'Tumorbiologie' nicht lesen zu müssen, weil die das so belastet, das Thema Krebs. (…)
Und da ist mir dann auch klar geworden, dass einfach viele gar nicht damit umgehen können, mit dem Thema Krebs. Das wird für die auf einmal zu greifbar, weil jetzt hat ja die Freundin Krebs, dann kann ich es ja auch kriegen, so. Und die wollen sich mit dem Thema einfach nicht auseinandersetzen, mit dem Thema schwerst zu erkranken oder vielleicht sogar sterben zu müssen. Und, ja, da konnte ich dann manche Verhaltensweisen von diversen Personen entschuldigen, die ich aber heute trotzdem nicht mehr in mein Leben lasse, weil ich mit solchen Personen nichts anfangen kann. Weil ich brauche keine Freundschaften, um mit denen Wein trinken zu können oder um mit denen die Nächte durchfeiern zu können - auch, aber ich brauche auch Freunde, die da sind, wenn es mir schlecht geht, weil ich bin auch da für die, wenn es denen schlecht geht. Und deswegen möchte ich mit solchen Leuten heute nicht mehr zusammen sein, weil Oberflächlichkeit war gestern, sage ich immer. Und deswegen umgebe ich mich heute mit Menschen, wo ich einfach weiß: Die sind auch für mich da, wenn es mir schlecht geht und ich brauche so, ja, andere Oberflächlichkeiten, wie gesagt, jetzt sage ich es zum zehnten Mal, brauche ich nicht mehr, ja. Obwohl ich ihnen verziehen habe, muss ich sagen.