Tessa Ruth sieht einen Zusammenhang zwischen ihren „Tiefphasen“ und den Medikamenten.

Tessa Ruth: Ich war noch klitzeklein und meine Mutter hat sich für die Medikamente entschieden, aber dazu auch nicht gesagt, was (...) (unverständlich). Ich habe immer nachgefragt: „Mama, warum muss ich diese Tabletten überhaupt nehmen?" Aber sie hat das damals entschieden. Und dann später habe ich erfahren, also als ich dann mich mehr damit auseinander gesetzt habe oder auch mehr über ADHS erfahren habe. Und als ich mich dann auch mehr über diese Medikamente informierte, die ich überhaupt nehme. Und es war so, als ich dann in die Pubertät kam, ging es mir damit schlechter. Also in der 4. Klasse, in der Grundschule, Auch in der 5., 6. war es alles noch akzeptabel. Ich weiß noch, dass ich die immer ungern genommen habe. Aber man musste es mir eigentlich immer so einflößen irgendwie, weil ich oft gesagt habe: „Nein, ich will meine Tablette nicht nehmen." Aber ich habe dann, als ich in die Pubertät kam, wurde es richtig schlimm. Da habe ich richtig starke Depressionen bekommen. Und das war ganz schlimm. Wahrscheinlich auch mit der hormonellen Veränderung irgendwie war das, hat es das alles verstärkt. Und ich habe die nie gut vertragen. Aber das war einfach nicht mehr machbar. Ich habe auch erst einmal gebraucht, um festzustellen, dass es von den Medikamenten kommt. Weil ich immer dachte: „So bin ich einfach." Ich habe immer gedacht, ich habe immer irgendwelche psychischen Probleme – also, hat man wahrscheinlich als ADHSler. Ich dachte nur so: „Ich muss mich irgendwie behandeln lassen. Ich muss zum Therapeuten oder sowas." Ist halt nur so, ich erinnere mich auch irgendwann mal – meine Tabletten habe ich öfters am Wochenende weggelassen – dann habe ich gemerkt, dann geht es mir ganz anders. Wenn ich meine Tabletten nicht und da habe ich dann gemerkt: „Okay, es kommt von den Tabletten." Dann bin 14 Jahre (...) (unverständlich). Habe ich zu Mama gesagt: „So, ich möchte jetzt zu dem Arzt, der mir das verschreibt und mit dem darüber reden." Und dann haben wir das auch gemacht und dann (...) (unverständlich). Es kommt durchaus vor, dass man davon unangenehme Nebenwirkungen hat. Also das man irgendwie depressiv wird oder sowas und dann hat er gesagt: „Okay, wir probieren was anderes aus." Das war dann, ich hatte erst X Medikament (Methylphenidat) und dann X Medikament (Amphetamin) (unverständlich) also X Medikament (Amphetamin) und dann hatte ich das. Das war auch Gutes muss ich sagen. Das hat auch nicht so starke Nebenwirkungen ausgelöst. Aber es hat trotzdem Nebenwirkungen ausgelöst. Und ich hatte dazu dann noch irgendwie X Medikament (Neuroleptika). Das ist irgend so kein richtiges Antidepressivum, aber irgendwie so ein ähnliches Präparat. Und das habe ich dann dazu bekommen. Das ging auch. Hatte ich dann die 10. Klasse über. Aber ich wollte das zwischendurch wirklich so, dass nehme ich immer die Zwölfer (unverständlich). Und ich habe immer gesagt: „Ich lasse es weg und nur wenn es gar nicht geht, nehme ich es halt" – habe es unregelmäßig genommen. Und dann kam ich in die 11. Klasse. Und es wurde... Genau, ich habe mich.... Also in der 10. Klasse habe ich ja gesagt: „Ich möchte eigentlich ohne Medikamente klar kommen." Bin auch eigentlich gut ohne Medikamente klar gekommen. Aber habe es halt zwischendurch nur genommen. Dann in der 11. Klasse habe ich so viele Stunden: 38 Stunden. Und das war dann ein bisschen, das durchgängig genommen. Durchgängig – auch am Wochenende. Und das war dann so, dass es erst nicht mehr so gut gewirkt hat. Das war ganz seltsam. Ich konnte mich trotz Tabletten... Ich glaube, ich war einfach total überlastet. Ich hatte irgendwie, war so einen richtigen zusammen (unverständlich). Ich wollte, ich war wirklich auch Atemnot und nicht in der Schule. Also mein Arzt hat mich krank geschrieben. Und ich habe wirklich, die haben nicht mehr gewirkt. Ich habe mich trotzdem mit Tablette nicht mehr konzentrieren. Ich hatte wirklich so starke Depressionen, dass ich gesagt habe: „Jetzt muss Schluss damit sein. Es muss einfach Schluss damit sein. Ich nehme jetzt keine Medikamente mehr." Und ich wollte immer schon, also seit ich rausgefunden habe, dass diese Tabletten dafür verantwortlich sind, dass es mir schlecht geht und seit ich rausgefunden habe, dass meine Mutter selbst ADHS hat und ohne Tablette klar gekommen ist. Ich meine, die hat auch ihre bestimmten genommen (unverständlich), aber dass sie sage ich mal, sie hat es im Leben zu was gebracht, sage ich mal so ohne Medikamente. Da habe ich halt gesagt: „Ich will wirklich ohne." Aber es ging halt nicht mehr. Ich habe da, als dann so viel in der Schule kam, habe ich wirklich jeden Tag diese Tabletten genommen, weil ich gedacht habe, aber ich habe sie auch wirklich gebraucht, ich wäre gar nicht mehr hinterher gekommen mit den ganzen Hausaufgaben. Mit den ganzen (...) (unverständlich) Schuljahr ist auch so extrem kurz in (Name eines Bundeslandes). Bei uns ist es ja so, dass jetzt das Schuljahr extrem kurz ist. Und dadurch, dass wir jetzt halt G8 haben, ist das einfach eine sehr hohe Belastung für die Schüler. Auch für Schüler – ich habe es auch von Leuten gehört, die kein ADHS haben, die wirklich gesagt haben, sie sind wirklich kurz vor so ein Burnout. Also aus meinem Jahrgang, die so sagt: „Ich bin total fertig, ich heule jeden Tag, wenn ich nach Hause komm, bin total überfordert" – und das von mehreren Leuten, unabhängig voneinander, die mir das erzählt haben. Und bei mir war das alles noch – sage ich mal – schlimmer, weil ich damit halt gar nicht mehr klar gekommen bin. Und irgendwie brauchte ich diese Tabletten. Und die haben irgendwann nicht mehr richtig gewirkt. Also ich konnte mich trotz Tabletten nicht mehr konzentrieren. Wahrscheinlich auch einfach, weil es auch sowas wie ein Burnout war oder sowas. Da funktioniert auch gar nichts mehr. Aber auf jeden Fall ist es jetzt so, dass ich eigentlich keine Tabletten mehr nehme. Also genau, zwischendurch habe ich das X Medikament (unverständlich) von meinem Arzt, verschrieben bekommen. Weil er gesagt hat: „Okay." Ich habe nämlich gemerkt, dass das Amphetamin ist (unverständlich). Ich kann mich nicht mehr konzentrieren damit, wir müssen was anderes ausprobieren. Dann hat er mir das X Medikament (unverständlich) verschrieben. Und das war: ich kann mich damit nicht konzentrieren, das bringt mir gar nichts, dann kann ich es auch weglassen und das war dann psychisch so seltsam, dann bin ich psychisch wieder auf ein Tief umgestiegen. Das war, also in der letzten Zeit war das, also so im letzten halben Jahr oder so. Das war alles total wild, weil ich da eine Zeit lang gar nichts mehr genommen, dann habe ich halt irgendwie wieder X Medikament (Amphetamin) genommen. Dann habe ich wieder X Medikament (Methylphenidat) genommen. Und dann ging mir halt auch... das war alles total blöd. Und jetzt habe ich halt wirklich gesagt und ich nehme jetzt seit den zwei, drei Monaten nehme ich auch wirklich nichts mehr. Außer wenn ich halt mal sage es geht gar nicht. Dann mache ich es so: ich habe eine 30 Gramm verschrieben bekommen. Das ist ja noch wenig. Man kann glaube ich bis 50 hochgehen oder so. Und ich nehme dann davon einfach nur ein Drittel oder sowas. Also 10 Gramm und das ist gut, weil ich dann keine starken Nebenwirkungen habe. Natürlich kann ich mich dann auch nicht so toll konzentrieren, wie ich es gerne hätte, aber ich merke schon, es reicht schon ein bisschen, weil ich reagiere extrem sensibel auf die Medikamente – auf alle Medikamente. Es ist glaube ich bei mir so, ich denke mal auch, weil das dann alles so ein bisschen noch mehr durcheinander gebracht wird, keine Ahnung was. Egal, jedenfalls ist es so, dass ich dieses wenn ich ganz bisschen nehme, ist es meistens gar nicht so schlecht, weil ich dann nicht so starke Nebenwirkungen habe. Aber es mich trotzdem so ein bisschen – doch, ich habe das Gefühl, dass ich mich dann doch noch besser konzentrieren kann, wenn ich ein bisschen nehme. Und ich merke schon die Veränderung. Ich merke, das wird besser. Aber das mach ich total selten. Zum Beispiel, ich sage mal, letztens habe ich eine Klausur geschrieben. Dann habe ich auch gesagt, „Okay, nimm ein Drittel von der Tablette." Und dann war es auch gut in der Klausur. Aber eigentlich so nehme ich keine mehr. Ich habe auch immer welche mit für den Notfall, weil ich mir denke, wenn es gar nicht mehr geht, dass ich die Tabletten dann habe – zum Notfall. Aber wie gesagt, das war immer so mit Medikamenten, war das nie so, dass ich sie... Ich habe mich auch zwischendurch immer wieder umentschieden: nehme ich sie oder nehme ich sie nicht. Eigentlich war es immer so ein Dilemma: ich will sie eigentlich überhaupt nicht nehmen, aber...
Interviewer: Aber die helfen?
Tessa Ruth: Ja. Und brauche sie, weil ich sonst überhaupt nicht mehr meinen Schulalltag geregelt kriege. Kriege meine Hausaufgaben nicht mehr hin. Ich kann mich gar nicht mehr konzentrieren. Kann mich in Klausuren nicht konzentrieren. Ich schreibe dann auf einmal viel schlechtere Klausuren. Ich denke mir so: „Dann kriege ich meinetwegen also eine Note schlechter als sonst." Also natürlich ist es ja immer unterschiedlich, wie gut man gelernt hat und wie gut man das Thema kann und was weiß ich. Aber das ist dann so, ich habe dann in einem Fach wirklich so mal eine richtig gute Note und dann mal eine richtig schlechte, kann mich überhaupt nicht konzentrieren, ich schreibe dann achte oder neunte. Und da kann ich mich dann nicht mehr konzentrieren und habe dann eine schlechte Note. Und das macht mich halt irgendwie fertig, weil ich so denke: „Das hättest du viel besser machen können, hättest du dich konzentrieren können." Und dann habe ich halt gesagt: „Ja okay, du brauchst deine Tabletten." Und dann denke ich mir so richtig peinlich: „Ich kann nicht ohne Tabletten leben." Meine Eltern (...) (unverständlich) auch: „Du bist ja auch tablettenabhängig." Weil ich dann immer – ich habe dann wirklich gesagt: „Ich brauche meine Tabletten." Wenn die dann Angeln waren, bin ich total ausgerastet und so. Aber jetzt ist es auch so. Aber jetzt aktuell. Und ich denke, dass ich es halten kann. Also jetzt geht es mir so schulisch richtig gut. Und bin jetzt so richtig – seit ich die Tabletten nicht mehr habe – richtig aufgeblüht irgendwie. Auch was so sozial, kann auch besser mit Leuten umgehen. Und das ist total gut – jetzt, ohne Tabletten. Aber ich weiß halt nicht, wie es mir wenn ich jetzt nochmal mehr Belastung, ob ich dann nicht wieder so einen Rückfall kriege und dann sage: „Ich brauche meine Tabletten, das geht gar nicht mehr." Das ist halt – kommt für mich drauf an, ob ich das jetzt schaffe, sage ich mal, das auszuhalten. Das auszuhalten, dass ich schlechte Tage habe, schlechte Phasen habe und nicht wieder so anfange Tabletten zu schlucken. Und wenn ich das wirklich, wenn ich das erstmal so, sage ich mal, da ist wieder Ablenkung, wenn ich das schaffe, wirklich jetzt über eine längere Zeit keine Tabletten mehr zu nehmen, ich glaube dann wird es irgendwann so sein, dass auch sowas für mich keine Option mehr ist. Dass es wirklich auch dann gar nicht mehr das Bedürfnis: „Ich muss welche nehmen." Also ich würde nicht sagen, dass ich abhängig bin, sondern dass eher: ich habe Angst. Ich denke mir so: „Wenn du keine nimmst, dann scheiterst du, dann kriegst du alles nicht hin." Und das ist auch so. Aus Angst denke ich, habe ich dann immer wieder Tabletten genommen, weil ich denke ohne geht es nicht. Aber wenn ich erstmal sehe, es geht doch ohne und im Moment geht es mir gut ohne und man kann Leistung bringen ohne, dann denke ich, dass ich da auch keine mehr brauche. Obwohl es immer wieder schwer sein wird. Das weiß ich ganz klar. Und ich auch immer wieder mal Tiefphasen habe. Das schreckt mich davon ab. Das ist so. Aber, wenn ich damit klar komme ohne Tabletten, dann ist das auf jeden Fall so mein Ziel.