Die Erfahrungen von Tessa Ruth

Portrait Tessa Ruth ist zum Zeitpunkt des Interviews 16 Jahre alt. Sie hat ADHS und geht auf ein Gymnasium. Sie lebt gemeinsam mit ihren zwei Brüdern bei ihren Eltern auf dem Land. Ihre Brüder haben auch ADHS. Tessa Ruth hat einer Veröffentlichung ihres Interviews in der Audioversion zugestimmt.

Als die jetzt 16-jährige Tessa in der 2. Klasse war, wurde bei ihr ADHS diagnostiziert. Damals entschied sich ihre Mutter für Medikamente. Als Tessa in die Pubertät kam, stellten sich als vermutliche Nebenwirkungen der Medikamente starke Depressionen ein und sie setzte daraufhin die Tabletten ab. Ab der 11. Klasse begann sie aufgrund des schulischen Leistungsdrucks wieder mit der Einnahme, litt aber wieder unter sehr starken Nebenwirkungen. Nachdem sie erneut starke Depressionen hatte, beschloss Tessa, es ohne Tabletten zu versuchen, und nimmt sie seither nur im Notfall.

Tessa bezeichnet AD(H)S nicht als eine Krankheit, sondern eher als eine „Störung“ oder „Handicap“. Ihr größtes Problem ist die Konzentration. Dabei helfen ihr Ohrenstöpsel, Kaffee, Zucker, To-Do-Listen, Sport sowie das Abschalten, wenn sie bspw. gar nicht aufnahmefähig ist. Andererseits kann sie sich sehr gut konzentrieren, wenn sie zum Beispiel in einer Stresssituation aufgeregt ist oder sich für bestimmte Dinge interessiert.

Ein Charakteristikum von ADHS ist für sie, dass sie empfindlich auf Reizeinströmungen reagiert: „wenn immer zu viel auf einmal in meinem Kopf ist, das ist immer so ein Chaos, dass man das überhaupt nicht ordnen kann.“ Zusätzlich zur Zerstreutheit sind für sie starke Stimmungsschwankungen typisch für ihr ADHS: „ich sag immer meine Stimmung verläuft wie die Sinuskurve: Hochpunkt, Tiefpunkt.“ Es ist anstrengend und ihr fällt es sehr schwer, mit dieser „Unausgeglichenheit“ zurecht zu kommen.

Sie macht sich Sorgen um ihre Außenwirkung: „Ich muss so blöd auf die anderen Leute wirken“. Da sie von anderen Menschen nicht „abgewertet“ und in eine Schublade gesteckt werden möchte, wissen nur ihre Familie und die engsten Freunde von ihrer Diagnose. Manchmal hat sie trotzdem das Bedürfnis, dies z. B. den Lehrkräften mitzuteilen, um auf mehr Verständnis zu stoßen.

Des Weiteren belastet es Tessa, dass sie oft „Angst haben muss, dass irgendwas schief geht“ und macht sich daher viele Sorgen. Sie fühlt sich vor allem nach stressigen Schulwochen „ausgelaugt“ und muss dann ihren Ausgleich finden. Ihr hilft es beispielsweise, Prioritäten zu setzen und sich dann nicht zu viel vorzunehmen.

Tessa hat das Bedürfnis, sich mit anderen Betroffenen über AD(H)S auszutauschen. Außerdem informiert sich umfassend über AD(H)S und die Prozesse, die in ihrem Körper ablaufen. Dies hilft ihr, sich selbst besser zu verstehen. Es ist ebenso wichtig für sie, auf dem neuesten Stand hinsichtlich der Medikamente zu bleiben. Denn insgeheim hofft sie auf die Entdeckung von „Wunderpillen.“

Das Interview wurde 21.04.2016 geführt.

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